Berichte

Wirtschaftsdemokratie zwischen „Roll-back" und neuer Aktualität

Konferenz „Economic Democracy", Brüssel, 7.-8. Dezember 2004

März 2005

Während der „Konferenz-Woche“ des Europäischen Parlaments veranstaltete die Linkspartei (GUE/NGL) in enger Zusammenarbeit mit EURED und Transform eine Konferenz zu „Economic Democracy“. Zielsetzung war eine erste Verständigung zwischen den beiden Netzwerken und GUE/NGL über eine zukünftige Kooperation zu diesem Thema. Das klassische Konzept der Wirtschaftsdemokratie sollte die kapitalistische Produktionsweise mit Hilfe einer Ergänzung der bürgerlich-demokratischen Beteiligungsrechte durch ökonomische Partizipation auf betrieblicher wie gesamtwirtschaftlicher Ebene „zähmen“. Sie war der Ausdruck einer in den Kämpfen um die politische Demokratisierung erstarkten Arbeiterbewegung, die nach „dem nächsten Schritt“ drängte. In den siebziger Jahren – gewissermaßen als Ausdruck der Stärke der westeuropäischen Gewerkschaftsbewegung im ausgehenden „goldenen Zeitalter“ reformuliert – eröffnete das Konzept der Wirtschaftsdemokratie eine doppelte Perspektive: Einerseits sollte die „Wirtschaftsdemokratie“ der Schaffung bzw. dem Ausbau der gewerkschaftlichen Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene dienen, andererseits wurde – wenn auch marginal – die Perspektive einer (friedlichen) Überwindung des Kapitalismus wieder aktuell.

Heinz Bierbaum (Infobüro Saarbrücken) skizzierte den Zustand der Mitbestimmungsrechte in modernen Unternehmen. Dabei zeigten sich die Grenzen der Partizipation von Beschäftigten an Unternehmensentscheidungen: So gibt es den Versuch, abhängig Beschäftigte über spezifische Unternehmenskulturen (corporate identity) zu integrieren. Unter diesen Bedingungen werden die Spielräume von Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten durch Unternehmenszielsetzungen eingegrenzt, die nicht von den abhängig Beschäftigten bestimmt werden. Die Partizipation wird von der Kapitalseite dominiert und funktional eingesetzt. Aus diesem funktionalen Ansatz ergibt sich schlüssig der Gegensatz zwischen individueller Partizipation (Beschäftigte) und kollektiver Mitbestimmung (z.B. durch Gewerkschaften). Während ersteres häufig als Weg zur Effizienzsteigerung gesehen wird, wird die kollektive Mitbestimmung immer stärker zum Objekt aggressiver Angriffe der Kapitalseite. Etwas anders verhält es sich dagegen mit dem Modell des „Co-Managements“. In diesem Konzept gewinnt die organisierte Vertretung an strategischer Bedeutung zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Modell erfüllt vor dem Hintergrund des eingeschränkten Einflusses auf betrieblicher Ebene die Aufgabe des „Verstärkers“: Die Mitbestimmung wird technokratisch angewendet und durch den Verlust ihres politischen Gehaltes „entkernt“. Aus wirtschaftsdemokratischer Sicht, so Bierbaum, sei dieses Modell daher zu kritisieren. Vor dem Hintergrund des durch den allgemeinen Trend zur „Vermarktlichung“ zunehmend brüchiger werdenden deutschen Modells, in dem das Co-Managements eine bedeutende Rolle spielt, müsse eine „realistische Strategie“ erstens auf eine „Repolitisierung der Mitbestimmung“ und zweitens auf die Wiedergewinnung von lang- und mittelfristigen betrieblichen Orientierungen gegen die heute vorherrschende kurzfristige „shareholder value“-Kultur setzen.

„Seien wir realistisch und mutig“. Dieser Satz Tony Andreanis (Espaces-Marx, Paris) bringt den Gehalt seines Beitrages „Size and Finance for the self-managed enterprise“ auf den Punkt. Sein Vortrag beinhaltete zentral die Frage nach der Herstellung eines „sozialisierten Sektors“, der in der Lage sein soll, mit dem pivat-kapitalistischen Sektor zu konkurrieren. Der Aufbau von selbstverwalteten (sozialisierten) Unternehmen, die in der Lage sind, auch „die Großen“ herauszufordern, muss sich v.a. zwei zentralen Problemen stellen: „Größe“ und „Finanzierung“. Für kapitalistische Unternehmen, so Andreani, ist „Größe“ kein Problem. Sie können aufgrund der zentralisierten Entscheidungsstrukturen schnell und damit effizient auf Herausforderungen und Chancen reagieren. Der hauptsächliche Vorteil sozialisierter Betriebe beruhe aber gerade auf der Ablehnung und Abschaffung kapitalistischer Managementkulturen und damit der Aktivierung von Effektivitäts- und Wissenspotentialen. Die Organisierung der innerbetrieblichen Demokratie sei dabei auch für große selbstverwaltete Unternehmen nicht unmöglich. Als Beispiel führte Andreani die Mondragon-Genossenschaft an, die als siebtgrößter Konzern Spaniens mit über 68.000 MitarbeiterInnen eine selbstverwaltete Mitbestimmungskultur etablieren konnte. Größe und Mitbestimmung sei nicht per se ein unlösbarer Widerspruch. Die wirkliche Archillesverse bei der Herstellung eines sozialisierten Sektors sei die Finanzierungsfrage: Eine Selbstfinanzierung durch die Beschäftigten ist so gut wie unmöglich. Andere Möglichkeiten wären die Aufnahme von Fremdkapital etwa durch die Ausgabe von Aktien ohne Stimmrecht oder eine Kreditfinanzierung durch Banken. Das erste Modell entfalte wenig Anreize und beschränke damit die Möglichkeit der Finanzierung. Vielversprechender seien dagegen die Perspektiven, die sich aus der Aufnahme von Krediten ergeben. Hier sei das Problem klar identifizierbar: Die Voraussetzung für eine sichere Finanzierung liege in der Übernahme der Kontrolle über einige Banken.

Die „Rolle der Pensionsfonds für die Wirtschaftsdemokratie“ behandelten Luigi Cerri (EURED) und Richard Minns (Universität Sheffield). Beide Referenten sahen die Möglichkeiten, die sich aus den Fonds für eine Demokratisierung ergeben, skeptisch. Während Cerri keinerlei positive Ausstrahlungskraft von Pensionsfonds ausmachen konnte, versuchte Minns, das Potential solcher Fonds für die Herstellung eines besseren Rahmens für Wirtschaftsdemokratie auszuloten. Trotz einiger Beispiele konnte das Konzept allerdings nicht überzeugen: Minns konnte zwar durchaus zivilisierende Effekte, die über gut gemanagte Pensionsfonds erzwungen werden können, aufzeigen. Letztlich jedoch kam auch er zu einer skeptischen Schlussfolgerung.

Cerri untermauerte seine strikt ablehnende Haltung gegenüber der Annahme von „Befreiungspotentialen“ des finanzgetriebenen Akkumulationsregimes: Erstens stelle sich die Frage, warum die abhängig Beschäftigten ihre Rente aufs Spiel setzen sollten, wenn doch nicht einmal die klar profitmaximierenden Fonds die Renten gewährleisten können, wie dies gerade in Großbritannien offensichtlich werde. Zweitens sei die Ausübung der Kontrolle über ein Unternehmen durch einen Fonds vielfach vermittelt: „Ich glaube nicht, dass Einflussnahme möglich ist.“ Dieser Punkt hängt direkt mit einem dritten Argument zusammen, in dem Cerri auf die relativ geringe Bedeutung (10-11%) von öffentlichen Pensionsfonds hinwies. Die Ressourcenumverteilung zugunsten der Aktionäre im finanzgetriebenen Kapitalismus enthalte den Druck zugunsten einer kurzfristigen Orientierung als Kernelement. Hier besteht ein Widerspruch zwischen Wirtschaftsdemokratie und Rentenfonds, dessen erfolgreiche Bändigung zumindest von Cerri, aber auch in der folgenden Diskussion größtenteils negativ beurteilt wurde.

Ulla Plener (Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin) arbeitete die aktive Verknüpfung der ökonomischen, politischen und ethischen Dimension von Wirtschaftsdemokratie heraus. Das Konzept der Wirtschaftsdemokratie sei grundsätzlich ein Weg, soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Der Kern der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit bestehe in der Forderung nach einer Demokratisierung der Wirtschaft. Daher gelte es zu verdeutlichen, dass es sich um polit-ökonomische Fragen handele, die aus verschiedenen Gründen im öffentlichen Bewusstsein nicht mehr präsent seien. Der Fokus ist nach Plener auf die undemokratischen Eigentumsverhältnisse zu lenken. Gewissermaßen als ein Hebel sei dabei die ethische Dimension zu betrachten. Wirtschaftdemokratie sei auch der Weg, die Würde des Menschen in vollem Umfang zu realisieren. Der moralische Skandal der Gegenwart, wie er sich etwa in der Massenarbeitslosigkeit manifestiere, sei der wichtigste Mobilisierungsfaktor für den unverzichtbaren „Druck von unten“. Letztlich bleibe „die Straße“ immer noch der entscheidende Faktor, denn die Implementierung von Wirtschaftdemokratie „von oben“ werde nur durch Druck von unten zu einer Perspektive. Die Bedeutung von demokratischem Wirtschaften als einem dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis gelte es in den öffentlichen Diskurs zu tragen.

Stefan Sjöberg (CMS Marx, Stockholm) konzentrierte seinen Vortrag auf eine Debatte aus den siebziger Jahren, in der die Trennung vom Kampf um Mitbestimmung auf der einen Seite und dem Drängen auf die Veränderung der Eigentumsverhältnisse auf der anderen Seite zu vermitteln versucht wurde. Die grundlegende Idee in dieser Debatte, die in den siebziger Jahren im DGB und in der SPD geführt wurde und später nach Schweden ausstrahlte, war eine schrittweise Erhöhung des gewerkschaftlichen Einflusses auf betrieblicher Ebene durch ein kontinuierliches Aufkaufen von Aktien. Ein Teil der Profite der großen Konzerne sollte beständig in Aktien angelegt werden: mit dem Ziel, die Mehrheit an einem Unternehmen für die Beschäftigten zu sichern. Das deutsche Modell scheiterte. Auch das schwedische Modell wurde in den Auseinandersetzungen so verwässert, dass der Kern des Projektes verloren ging. Die Idee bleibt nach Sjöberg aber aktuell. Zweierlei Strategien seien denkbar: einerseits der Weg über die gewerkschaftlichen Pensionsfonds. Die allgemeine Problematik der Vermittlung dieser Operationen über die Finanzmärkte lasse diese Perspektive als eher fragwürdig erscheinen. Andererseits gebe es aber auch den Weg über die so genannten „societal funds“ (Gesellschaftsfonds). Diese Perspektive bleibe aber ohne starke Bewegung „Zukunftsmusik“.

Hillary Wainwright (TNI-Institute Amsterdam, Red Pepper London) stellte die demokratische Vermittlung von „Mikroprozessen des Widerstandes“ gegen die Privatisierungen in Großbritannien und die Fähigkeit zur Durchsetzung von Interessen in den Mittelpunkt ihres Vortrages. Die sozialen Kämpfe seien auf die Aktivierung der „schlummernden Potentiale“ der Menschen angewiesen. Nur eine grundsätzliche gleichberechtigte Prozessstruktur ist in der Lage, dieses Ziel zu erreichen. Das geht Wainwright zu Folge nicht zu Lasten der Durchschlagskraft von sozialen Bewegungen. Anhand aktueller Auseinandersetzungen verdeutlichte sie, dass insbesondere das Modell der partizipativen Demokratie, wie es in Folge des Wahlsieges der PT in Brasilien „grenzüberschreitend einflussreich“ wurde, gute Ergebnisse zeitigte. Über eine solche Organisierung seien Verschiebungen im gesellschaftlichen Denken zu erreichen.

„Demokratisierung ist ein Thema“, eröffnete Joachim Bischoff (Zeitschrift „Sozialismus“, Hamburg) seinen Vortrag. Auf der Agenda steht nach Bischoff eine „Entdemokratisierung“ in gigantischem Umfang. Dieser bitteren Realität müsse Rechnung getragen werden, bevor Konzepte aus den siebziger Jahren wiederbelebt werden sollten. Sowohl auf der Ebene der Mitbestimmung, auf der der letzte Fortschritt 1972 erkämpft wurde, als auch auf den Ebenen der sozialen Enteignung, des Machtgewinns der Finanzsphäre und auf der Ebene der Verteilungsverhältnisse sei die Linke mit einem ungeheuren Rollback konfrontiert, der schon in weiten Teilen die Errungenschaften früherer Zeiten vernichtet habe. Der Prozess der Entdemokratisierung bewege allerdings die Menschen. Bischoff sieht eine Annäherung zweier gesellschaftlicher Blöcke: Derer, die (noch) arbeiten, und derer, die bereits aus dem Verwertungsprozess ausgestoßen wurden. Hier liegt nach Bischoff ein enormes Potential. Um die Chance, die in der gegenwärtigen Situation liegt, zu nutzen und in zählbare Erfolge umzusetzen, sei es allerdings notwendig, dass die Gewerkschaften sich als autonomer politischer Akteur konstituierten, um so ihre wachsende Zusammenarbeit mit den Bewegungen zu festigen.