Neoliberaler Umbau des Kapitalismus und soziale Protestbewegungen

Krankenhäuser zwischen Ökonomisierung und Privatisierung

Schwieriges Terrain für kollektive Gegenwehr

Juni 2006

Hintergrund der Auseinandersetzungen

Während die große Koalition ansonsten keinerlei Hemmungen zeigt, den Sozialabbau weiter zu forcieren, wurde die Gesundheitspolitik in den Koalitionsvereinbarungen erst einmal vertagt. Eine Lösung soll im Laufe des Jahres 2006 gefunden werden. Hauptknackpunkt ist dabei die Frage der Finanzierung der Krankenversicherung als zentrale Einrichtung des Gesundheitssystems. Gefährdet sei die Zukunftsfähigkeit durch eine schier unglaubliche ‚Kostenexplosion’ und einen demographischen Wandel, der zu ansteigenden Gesundheitsausgaben führe.

Sowohl auf Seiten der Länder als auch des Bundes werden gesundheits- und sozialpolitische Ziele von wirtschaftspolitischen überlagert. Während Länder und Kommunen vor allem an der Entlastung ihrer Haushalte interessiert sind, geht es dem Bund um die Vermeidung von Beitragssatzerhöhungen, was aus einem Interesse der Unternehmen an niedrigen Lohnnebenkosten abgeleitet wird. „Eingriffe des Bundes in die Krankenhausfinanzierung oder auch das Unterlassen von Eingriffen dienten folglich – vermittelt über die Vermeidung von Mehrbelastungen der Krankenkassen – der Vermeidung von Belastungen der Wirtschaft.“[1] Dieses Paradigma der Unterordnung unter eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik bestimmt die staatliche Gesundheitspolitik seit Jahrzehnten. SPD-Finanzminister Peer Steinbrück fasst dies wie folgt zusammen: „Ein Gesundheitssystem, das überwiegend über Lohnnebenkosten finanziert wird, gefährdet Arbeitsplätze.“ (FAZ, 29.3.06) In welche Richtung diese Umstrukturierungen führen werden, macht unterdessen CDU-Landeschef Christian Wulff deutlich: „Erst die Ausgabenseite – dann über Verbesserungen der Einnahmen reden.“ (FR, 29.3.06) Da man zu große Einschnitte dann aber doch nicht verantworten, die Lohnnebenkosten aber laut Koalitionsvereinbarung unter 40 Prozent senken will (FAZ, 28.3.06), ist eines klar: „Es wird tendenziell teurer“, wie Kanzlerin Merkel versichert (FR, 30.3.06) – für die Versicherten versteht sich.

Gleichzeitig verweist gerade die Frage der Krankenversicherung und ihrer Finanzierung auf einen grundsätzlichen Konflikt im Gesundheitswesen: Die beiden Arten der Krankenversicherung stehen nämlich stellvertretend für zwei Modi der sozialen Sicherung. Die gesetzliche Krankenversicherung unterliegt einer Regulierung durch die Politik und ist per Gesetz gemeinwohlorientiert. Im Gegensatz dazu steht bei der privaten Krankenversicherung eine individuelle Nutzenorientierung im Zentrum. Sowohl eine gesetzliche als auch eine private Organisation der Krankenversicherung haben Einfluss auf andere Teilbereiche des Gesundheitssystems. Zum einen übt der Sicherungsmodus eine Vorbildfunktion aus, zum anderen hat die Fixierung auf die Beitragssatzstabilität Auswirkungen auf Einrichtungen, die primär von den Kassen finanziert werden. Für diese Einrichtungen folgt daraus ein Zwang zur Kostenreduktion. Von staatlicher Seite wird dieser Zwang gesetzlich festgeschrieben und durch immer neue Gesetze und Verordnungen verschärft. Bereits seit Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden fortlaufend Kostendämpfungsmaßnahmen beschlossen. Wesentlich an den Kostendämpfungsgesetzen ist das dahinter stehende Verständnis von Politik: Immer wenn der Versuch der Kostendämpfung scheitert, muss das Ziel der Kostendämpfung noch entschiedener verfolgt werden.

Auch die seit 1993 schrittweise eingeführte Steuerung des Leistungsgeschehens über den Preis ist zum Teil in diesem Zusammenhang zu sehen. Da Fallpauschalen (oder Diagnosis Related Groups, kurz DRGs) im Gegensatz zur früheren Abrechnung in der Klinik unabhängig von der Verweildauer und auch unabhängig von den tatsächlichen Behandlungskosten gebildet werden, üben sie einen Anreiz zur Senkung der Verweildauer und der Kosten für die Behandlung aus. Hierin sind sich BefürworterInnen wie auch KritikerInnen der Umstellung der Finanzierung weitestgehend einig. „In einem DRG-basierten Vergütungssystem überleben nur jene Krankenhäuser, deren reale Kostenverläufe maximal in Höhe der Fallpauschalenvergütung liegen.“[2] Es wird folglich GewinnerInnen und VerliererInnen, also Häuser mit unterdurchschnittlichen und Häuser mit überdurchschnittlichen Kosten, geben oder wie es in neoliberaler Diktion heißt, der Markt wird bereinigt. Somit ist die Funktion des DRG-Preissystems vor allem in der Einführung von Wettbewerb zu sehen. Der geforderte „Wettbewerb im Krankenhaussektor“ ist allerdings „nicht nur Konkurrenz von Einzelunternehmen, sondern auch von Rechtsformen und Trägertypen“[3]. Keineswegs steht dabei das Ergebnis der Behandlung – das Wohlbefinden der Patientin – im Mittelpunkt, sondern vor allem das wirtschaftliche Ergebnis des Krankenhauses. Dabei ist es unerheblich, wie das wirtschaftliche Ergebnis zu Stande kommt und sei es, dass es auf Rationierung und Selektion basiert. Gleichzeitig ist das Wohlbefinden der Patientin von der finanziellen Ausstattung abhängig. Angenommen auch nur ein Teil des konstatierten millionenschweren Investitionsstaus in den hiesigen Kliniken entspricht dem tatsächlichen Bedarf und angenommen private Ketten können dieses Geld ausreichend akquirieren, dann ist es nicht verwunderlich, wenn private Häuser auch in der PatientInnengunst besser abschneiden. Dadurch verschiebt sich der gesellschaftlicher Konsens, der die Überlegenheit des Marktes im Gegensatz zu öffentlicher Steuerung hervorhebt und privaten Unternehmen die Attribute „besser, billiger, bürgernäher“[4] zuspricht, weiter in diese Richtung.

Ziel: Verbleib in öffentlicher Trägerschaft?

Die aus dieser Gemengelage abzuleitende Leitfrage würde wie folgt lauten: Soll Gesundheitsversorgung weiterhin Aufgabe des öffentlichen Dienstes sein, oder soll Gesundheitsversorgung privat organisiert werden? Natürlich, wäre aus einer linken Perspektive einzuwenden, soll Gesundheitsversorgung nicht in den Verantwortungsbereich der Individuen abgeschoben werden. Jedoch ist die Alternative, der Verbleib im öffentlichen Besitz, keine für die es sich lohnt per se einzutreten. Wie in den Bemerkungen zum DRG-Preissystem angeklungen ist, finden sich Wettbewerbselemente heute in allen Krankenhäusern – unabhängig von der Trägerschaft. Diese Ökonomisierung der medizinischen Versorgung, die als „Kulturwende in der Medizin“ (Hans-Ullrich Deppe) beschrieben werden kann, ist das Problem der Krankhausversorgung. Die infolge der Einführung von Budgets und Fallpauschalen sich vollziehende Ökonomisierung des Krankenhauses muss als weitere Subsumtion unter kapitalistische Verwertungslogik interpretiert werden. Kam der Krankenhausbehandlung bislang „nur“ die Wiederherstellung der Ware Arbeitskraft zu, findet in der Krankenhausbehandlung nun selbst Mehrwertproduktion statt. Im Zuge dessen wird das Krankenhaus verstärkt nach Rentabilitätskriterien organisiert und die Behandlung von Menschen gleicht immer mehr der Produktion von Waren. Erst wenn jegliches Rationalisierungspotential ausgeschöpft wurde, steht die materielle Privatisierung am Ende der Kette der Ökonomisierung. Die Krankenhäuser entwickeln sich damit in „Richtung einer Industrialisierung [...], die mit zunehmender Veränderung ihrer Eigentumsstruktur durch Privatisierung der Vollendung entgegensteuert“[5]. Diese Prozesse spielen sich allerdings nicht erst beim Verkauf eines städtischen Klinikums an eine private Klinikkette, sondern bereits unter öffentlicher Trägerschaft ab.

Nun vermag die bisherige Bewegung gegen Privatisierungen hier nur bedingt Ansätze für eine Gegenwehr aufzeigen. Der zumeist verwendete Privatisierungsbegriff fokussiert auf die Eigentumsverhältnisse, was angesichts der Maßlosigkeit, mit der öffentliches Eigentum verschleudert wird, durchaus verständlich ist. Gleichzeitig sind Phänomene wie Managementverträge oder die Umwandlung in eine private Rechtsform mit einem solchen Privatisierungsbegriff nicht als Ausdruck eines fundamentalen Wandels zu begreifen. Es handelt sich nämlich bei Änderungen der Rechtsform um ein deutliches Anzeichen der Aufgabe der wohlfahrtsstaatlichen Regulierung öffentlicher Dienste. Als Privatisierungen sollten deshalb alle Tendenzen bezeichnet werden, durch die der nominelle Einfluss der BürgerInnen über Kommune oder Staat auf Unternehmen zurückgedrängt wird, die eine Auflösung fordistischer Arrangements in den Arbeitsbeziehungen zur Folge haben und die die „Umwandlung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in kapitalistisch produzierte Waren“[6] bewirkt. Es handelt sich bei Privatisierungen um eine Inwertsetzung der betroffenen Bereiche, die diese vollständig den Mechanismen des Marktes ausliefert. Der Unterschied zwischen privatrechtlichen und öffentlichen Unternehmen lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Ein städtisches Unternehmen kann nicht Pleite gehen, eine GmbH – auch wenn sie zu 100 Prozent einer Kommune gehört – dagegen sehr wohl.“[7]

Widerstand gegen Privatisierungen von öffentlichem Eigentum muss folglich vor dem Verkauf an einen privaten Träger ansetzen. Attac Hamburg hat dies erkannt und sich deshalb gegen eine Umwandlung der hanseatischen Landeskliniken in eine GmbH ausgesprochen und auch im Falle der Privatisierung der Unikliniken Gießen und Marburg wurde Kritik an den Plänen der Bürgerinitiative zur Errichtung einer GmbH im Mehrheitsbesitz der öffentlichen Hand laut.[8] Jedoch folgt die neoliberale Zurichtung der Klinik nicht nur äußeren, ökonomischen Zwängen, sondern findet auch Entsprechungspunkte in den Kliniken selbst, weshalb selbst dieser Widerstand einer Erweiterung des Fokus bedarf.

Innerbetriebliche Grundlagen der Umstrukturierung

Hier soll im folgenden der Versuch unternommen werden, innere und äußere Linien der Umstrukturierung zusammen zu denken und Konsequenzen für die Beschäftigten aufzuzeigen. Dabei wird die neoliberale Umstrukturierung nicht als von außen aufgezwungener Prozess beschrieben, sondern als Prozess, der es vermochte, Kritik am Gesundheitssystem und der Institution Krankenhaus aufzunehmen und neoliberal zu wenden. Angesichts der Fülle an Darstellungen zu den ökonomischen Gründen und Zwängen zur Privatisierung von Krankenhäusern wird auf eine über die bisher gemachten Anmerkungen hinausgehende Behandlung dieser Thematik verzichtet. Ebenso fällt die neoliberale KundInnenorientierung wie die Ideologie der Eigenverantwortung unter den Tisch. Stattdessen wird versucht, den Prozess innerbetrieblich herzuleiten.

Mögliche Auswirkungen auf Beschäftigte und PatientInnen lassen sich in der Gesundheitsversorgung nur schwerlich voneinander trennen. Dies hängt mit der Besonderheit der erbrachten Dienstleistung – der Akt der Herstellung und die Konsumtion fallen in eins – sowie des Selbstbildes bzw. Berufsethos der im Gesundheitsbereich Arbeitenden zusammen. Bernard Braun et al. sprechen in diesem Zusammenhang von einer ausgeprägten „Reziprozität von Beschäftigten und Patienten hinsichtlich der Erwartungen, der Erfolgsbestimmungen, des Umfangs als auch der Art von Outcomes“[9]. Ohne gute Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte leidet die Versorgungsqualität der/des Patientin/Patienten und ohne deren Mitarbeit als Ko-ProduzentIn von Gesundheit ist wiederum die Zufriedenheit der Arbeitenden beeinträchtigt. Diese Reziprozität speist sich zum einen aus der Besonderheit der Arbeit am Menschen in Verbindung mit der Vorstellung von Pflege als helfender Tätigkeit und zum anderen aus dem Konzept der patientenorientierten Pflege. Ziel dieses Konzeptes ist es, eine partnerschaftliche und gleichberechtigte Beziehung zwischen Pflegenden und PatientInnen aufzubauen, die darauf gerichtet ist, die „Abhängigkeit [des Patienten] zu verringern sowie seine trotz Krankheit oder Behinderung bestehenden Ressourcen zu aktivieren und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten“[10]. Aufgrund der unkritischen Haltung gegenüber den Strukturen des Gesundheitssystems breitete sich in der BRD jedoch eine individualistische und kompensatorische Auffassung dieses Pflegekonzeptes aus. So wird vermittelt, dass Missstände in den Kliniken durch individuellen Einsatz kompensiert werden können. „Damit wird das Konzept nicht nur konservativ, sondern es werden Entpolitisierung und Entsolidarisierung hervorgerufen und die Arbeitenden daran gehindert, ihre Lage als kollektive zu begreifen, die kollektiv verändert werden kann.“[11] Gleichzeitig hilft „der Mythos von der ganzheitlichen Pflege (als Pflege, die den Gebrauchswert für die Patienten erhöht) auch, die Unzufriedenheit, den Streß und die vielfältigen Anforderungen in der weißen Fabrik zu ertragen“.[12] Somit erfüllt das Konzept der patientenorientierten oder ganzheitlichen Pflege gleichzeitig zwei Anforderungen für eine marktgerechte Umstrukturierung des Krankenhauses: Zum einen leistet es einer Entsolidarisierung unter den Arbeitenden Vorschub und zum anderen hilft es den Arbeitenden, diesen Zustand zu ertragen und spornt sie gleichzeitig zur Mehrarbeit an. Im Falle von ÄrztInnen ist zu vermuten, dass die Vorstellung der Ausübung eines Heilsberufes, der Menschen hilft und deshalb nicht verzichtbar ist, ebenso dazu beiträgt, Anstrengungen zu ertragen bzw. sich an diese anzupassen und weiterzugeben. Gerade aber die Differenzen und Spaltungen zwischen den Beschäftigten erschweren kollektives Handeln. Nicht nur die ÄrztInnen, die heutzutage selbst in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen häufig die ständische Variante der Organisierung wählen, haben oftmals andere Probleme als die PflegerInnen, sondern auch PflegerInnen sind von Reinigungskräften infolge der Zentralisierung von Arbeiten getrennt und deshalb gestaltet sich auch in diesem Fall die Formulierung kollektiver Interessen schwierig. Ebenso wie die Pflegeideologie die Umstrukturierung der Klinik von unten vorantreibt, trägt das Unbehagen über die ständische Organisation und die Allmacht der Chefärzte zur Akzeptanz von medizinischer Leistungssteuerung[13] bei.

Für die von den Krankenhäusern geforderten Kosteneinsparungen ist sowohl die Pflegeideologie als auch die bereits erfolgte Rationalisierung des Arbeitsprozesses grundlegende Bedingung. Als Rationalisierung ist ein Verständnis von Arbeit im Krankenhaus als Pflegeprozess, das die aktive Planung durch die PflegerInnen und somit eine Leistungsverdichtung fordert, sowie die Pflegedokumentation, die erstmals Pflege standardisierbar machte, zu sehen. Eine mögliche Kombination aus Pflegeideologie und Rationalisierung und somit eine Antwort auf den Kostendruck ist das Fallpauschalensystem, da hier „ökonomische und patientenorientierte Pflegekonzeptionen ineinander“[14] greifen. Durch diese kurze Herleitung der innerbetrieblichen Grundlagen des Fallpauschalensystems wird deutlich, dass „mit der Ökonomisierungstendenz [...] keine heile Welt verloren“ geht, „sondern die Welt, aus der sie so hervorgehen konnte“.[15]

Von der Verunmöglichung der Gegenwehr zur Anpassung an betriebswirtschaftliche Logik

Gleichzeitig kann sich aus dem Pflegemythos eine Widerständigkeit entwickeln, da die Umsetzung einer patientenorientierten Pflege mehr Personal nötig macht, von den Krankenhausleitungen aber kein zusätzliches eingestellt wird. Da eine kollektive Gegenwehr aber nicht in Sicht ist bzw. durch die Individualisierung erschwert wird, nehmen Formen der individuellen Arbeitsverweigerung zu. Ein gut belegtes Beispiel ist die hohe Mobilität von PflegerInnen, die in der Alltagsvorstellung der jungen Krankenschwester ihren Ausdruck findet. Kann Mobilität als individuelle Widerstandsstrategie und als eine Form der Ablehnung von Arbeit positiv bewertet werden, stellen Untersuchungen zu Arbeitsbedingungen aber auch Folgen heraus, die wiederum Konsequenzen für die PatientInnen haben: „Empirisches Material aus den Vereinigten Staaten lässt die begründete Vermutung zu, dass die Ökonomisierung der Krankenhausarbeit die Akteure in ihrer Arbeitshaltung gleichgültig werden lässt und damit zu einer Deprofessionalisierung führen kann. Versachlichung, Desensibilisierung und Deprofessionalisierung verändern auch das Patientenbild.“[16] Egal wie diese Reaktionen auf die Ökonomisierung gewertet werden, zeigen sie deutlich, dass sich Pflegekräfte wie auch PatientInnen mitten im Konflikt über die Ausrichtung der medizinischen Versorgung befinden. Da die Ökonomisierung durch Fallpauschalen und allgemeine Sparappelle auch in den Arbeitsalltag getragen und so zur Anforderung an die Arbeitenden wird, wird dieser Konflikt zwischen betriebswirtschaftlichen Überlegungen und medizinischen Notwendigkeiten auch in den Köpfen der Individuen ausgetragen. „Entweder sie beharren auf ihrer Verantwortung für den individuellen Patienten und tun das im eigenen Interesse möglichst wirtschaftlich, oder sie gehen auf die Anreize ein und legitimieren das vor sich selbst als Verantwortung für das Allgemeininteresse, das in diesem konkreten Fall ein mithilfe der neoliberalen Glaubenslehre maskiertes Partialinteresse der Kapitalwirtschaft ist.“[17] Aufgrund der erschwerten Möglichkeit der kollektiven Gegenwehr entscheiden sich viele Beschäftigte für die Annahme der betriebswirtschaftlichen Handlungslogik. Dies geschieht vor allem durch die Angst um den eigenen Arbeitsplatz, dessen Sicherheit mit einem positiven Budgetergebnis der Klinik in Verbindung gebracht wird. Lassen sich Arbeitende jedoch einmal auf diese Logik ein, bleibt ihnen der Weg der Gegenwehr dauerhaft verstellt. Ein Indiz hierfür ist der Zukunftssicherungsvertrag mit dem ver.di kommunale Krankenhäuser durch gezielte Lohnsenkungen retten will. Dadurch solle verhindert werden, „dass die Häuser, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken, von privaten Betreibern übernommen werden“[18]. Die politische Ermöglichung des Auftretens privater Klinikketten verschlechtert also nicht nur die ökonomische Lage des öffentlichen Krankenhaussektors, sie untergräbt auch die Verhandlungsposition der Arbeitenden. Eine mögliche Privatisierung dient sowohl Arbeitgeberverbänden als auch Teilen der Gewerkschaften als Legitimationsgrund für die Aufkündigung von Arbeitsarrangements. Angesichts dessen ist es verständlich, wenn Arbeitende nicht länger gewillt sind, jegliche Verschlechterung mit dem Verweis auf die bevorstehende Privatisierung hinzunehmen: „Auf einer Besprechung der Reinigungsfrauen hat eine der Frauen deutliche Worte gefunden: dann eben Privatisierung und unter den neuen Bedingungen schauen, was zu machen ist – statt mit der Privatisierungsdrohung unter Druck gesetzt, ruhig gehalten und gedemütigt zu werden.“[19]

Privatisierung

Privatisierung ist Ausdruck der Ökonomisierung des Gesundheitswesens und kann keineswegs von ihr getrennt betrachtet werden. Sowohl „Dezentralisierung nach außen“[20] als auch der materielle Verkauf oder die Umwandlung der Rechtsform können unter dem Schlagwort Privatisierung betrachtet werden. Dezentralisierung nach außen meint die Auslagerung von zuarbeitenden Funktionen wie Reinigung oder Küche: „Politisch bezweckt dies eine Aufspaltung der Arbeitskraft in höherqualifizierte KrankenpflegerInnen und Reinigungs- und Küchenpersonal.“[21] Auslagerung bedeutet für die Beschäftigten immer eine Minderbezahlung und Aufkündigung von Tarifstrukturen des öffentlichen Dienstes, also kurz eine Prekarisierung der Lohnarbeit. In der Praxis werden entweder Service-GmbHs ausgegründet oder Teile des Betriebes ganz an private Unternehmen abgetreten. Im Falle von ausgegründeten Servicegesellschaften werden die dort Beschäftigten dann an das betreffende Krankenhaus ausgeliehen. Keineswegs trifft diese Taktik nur so genannte patientenferne Bereiche. An dem in öffentlicher Trägerschaft befindlichen Klinikum Bayreuth GmbH wurde eine Service-GmbH gegründet, die nicht nur ca. 30 Prozent weniger als das Klinikum selbst zahlt und zudem weniger Urlaub, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und kürzere Kündigungsfristen gewährt, sondern auch alle Positionen bis auf ärztliches Personal und Leitungsfunktionen besetzt.[22] Im Falle der Frankfurter Uniklinik erhalten die bei der Rhein-Main Personalservice GmbH Beschäftigten statt Urlaubs- und Weihnachtsgeld eine Anwesenheitsprämie.[23] So werden Beschäftigte selbst in krankem Zustand zur Arbeit gezwungen, um mögliche Zuschläge nicht zu gefährden. Dies geschieht wohl gemerkt nicht bei dem von ver.di als Schreckgespenst aufgebauten Konzern Asklepios, sondern in öffentlichen Krankenhäusern!

Trotzdem wird mit einer materiellen Privatisierung oftmals die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder auch schlechterer Arbeitsbedingungen verknüpft. Was sich anhand von Zahlenmaterial in der Tat sagen lässt, ist, dass die Arbeitsintensität in privaten Häusern höher ist als in öffentlichen.[24] Dies spiegelt sich auch in der Wahrnehmung der Pflegekräfte wieder, wie eine im Auftrag der Gmünder Ersatzkasse erstellte Studie zeigt. Pflegekräfte in privaten Krankenhäusern geben eine signifikant höhere Arbeitsbelastung an als der Durchschnitt.[25]

Ängste auf Seiten der Beschäftigten, im Falle einer materiellen Privatisierung den Job zu verlieren, bestätigte vor einigen Jahren der frühere Konzernchef der Rhön AG, Eugen Münch, als er erklärte, dass bei der Übernahme einer Klinik der Personalbedarf berechnet wird „und nicht Gegenstand sozialer Überlegungen sein [kann], die letztlich systemtötend wären“[26]. Da die Personalkosten mit knapp 30 Prozent der Gesamtkosten eines Krankenhauses ein nahe liegendes Objekt für Einsparungen sind, ist nicht weiter verwunderlich und keineswegs ein Einzelfall. Ramboll-Management geht davon aus, dass zur Zeit „im Zuge der Privatisierung in den meisten Kliniken eine Senkung der Personalkosten um 3-4 Prozent durchgeführt“ wird.[27] Betroffen ist davon in der Regel die Altersvorsorge. Hinzu kommt ein Ausstieg aus dem BAT und der Abschluss von Haustarifverträgen. Ergebnis der Haustarifverträge ist eine Spaltung der Beschäftigten durch Lohnspreizung: „Gut ausgebildetes z.B. ärztliches und pflegerischeres Personal, verdient tendenziell besser, während Hilfstätigkeiten schlechter entlohnt werden.“[28]

Hoffnungsvolles Aufbegehren?

Seit vergangenem Jahr wird an den hiesigen Kliniken wiederholt gestreikt. Sowohl der Marburger Bund als auch ver.di rufen ihre Mitglieder fortdauernd zu Warnstreiks und Streiks auf. Erst einmal ist dies zu begrüßen, vor allem, weil auch endlich wieder Krankenhäuser zum Kampffeld für gewerkschaftliche Auseinandersetzungen werden. Bei genauerer Betrachtung der Ziele und der erkämpften Abschlüsse ist der Jubel der meisten linken KommentatorInnen über die Auseinandersetzungen nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. An den Unikliniken in Baden-Württemberg konnte erreicht werden, dass es im wesentlichen bei der 38,5 Stundenwoche bleibt (Staffelung der Arbeitszeit nach Alter) und die bereits abgeschlossenen Verträge mit einer Wochenarbeitszeit von 41 Stunden auf die 38,5 Stunden zurückgeführt werden. In diesem Sinne wurde die Spaltung in bisherige und neu eingestellte Beschäftigte aufgehoben. „Unser Arbeitskampf und Tarifabschluss setzt neue Maßstäbe gegen gewerkschaftliche Konzessionspolitik“, stellt eine verdi-Funktionärin im express fest (express, 10/2005). Ob gewerkschaftliche Konzessionspolitik durch den Vorschlag einer deutlich abgesenkten Niedriglohngruppe für den „Servicebereich“ wirklich unterlaufen wurde, sei dahin gestellt. Der Spaltung der Belegschaften wird so zumindest nichts entgegengesetzt. Zumal diese Ausgliederung auch aus Gewerkschaftssicht kontraproduktiv sein dürfte, da die dort Beschäftigten die Gewerkschaft nicht als ihre Interessensvertretung erleben und sich ver.di als Folge dessen seiner eigenen Kampfkraft beraubt. Für die Forderungen des Marburger Bundes wird zu Recht weniger Verständnis aufgebracht. Zwar sind die Arbeitsbedingungen der angestellten Ärztinnen und Ärzte alles andere als rosig, jedoch zeigt sich gerade in der Betonung der Rolle der Ärztin als Leistungsträgerin die ständische Ausrichtung. Eine Kritik an der Zurichtung der Klinik ist von ärztlicher Seite kaum öffentlich wahrnehmbar zu hören und auch die Kluft zwischen der Masse der Assistenzärzte und den Spitzenverdienern dieser Berufsgruppe wird wenig thematisiert.[29] Trotz aller Kritik ist es erfreulich, dass Beschäftigte nicht bereit sind, alles zu jedem Preis zu ertragen. Erstens, weil es verdeutlicht, dass die Grundlage des Verwertungsprozesses, die Formung der Ware Arbeitskraft aus Menschen, nach wie vor krisenhaft und der Widerstand dagegen noch längst nicht passé ist. Zweitens, weil gerade das Beispiel der Streiks in Baden-Württemberg zeigt, dass es auch möglich ist in schwach organisierten Bereichen gewerkschaftliche Gegenwehr zu organisieren. Nicht als Mitgliederwerbung für ver.di, sondern als Möglichkeit der politischen Bewussteinsbildung. In der konkreten Auseinandersetzung können gesellschaftliche Verhältnisse nämlich als bewegbar erfahren werden. Selbst die faktischen Budgetdeckelungen der Kliniken, die von ver.di als Argument gegen die Gehaltsforderungen des Marburger Bundes angeführt werden, sind veränderbar, wie das Beispiel Belgien zeigt. Hier erstreikten Pflegekräfte im Jahre 2005 eine Erhöhung des Budgets für die Krankenhäuser um 25 Prozent. Ohne Widerstandserfahrungen aus solchen Kämpfen und der damit verbundenen Stärkung der sozialen Bewegung ist eine Mehrheit für ein Projekt, in dem die Bedürfnisse der Menschen die Ziele der Produktion bestimmen und nicht mehr die Produktion die Ziele der Menschen, unmöglich. Aus diesen Widerstandserfahrungen den Willen nach mehr als einem sozial abgefederten Kapitalismus zu machen, muss in linker Intervention und gemeinsamen Kämpfen erarbeitet werden.

Ausblick

Gegenwehr gegen die Privatisierung von Krankenhäusern sollte nicht den Fehler machen, in eine reine Verteidigungshaltung der öffentlichen Krankenhäuser zu verfallen. Zwar gibt es gute Gründe, für den Verbleib von Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft einzutreten, aber nicht zu Lasten der Beschäftigten, wie dies durch den von ver.di ausgehandelten „Zukunftssicherungstarifvertrag“ für kommunale Krankenhäuser geschieht. Auch wenn es strukturelle Vorteile aufgrund der tarifrechtlichen Vereinbarungen des öffentlichen Dienstes gibt, sind „es nicht so sehr die rechtlichen Kompetenzen [die] zählen, sondern das, was man daraus macht. Die Durchsetzungsfähigkeit hängt also von anderen Faktoren ab.“[30] Für die Beschäftigten steht somit die Überwindung der Spaltungen und die Entwicklung von kollektiven Handlungsmöglichkeiten im Vordergrund. Hierzu bedarf es nicht zuletzt einer Anspruchshaltung, die sich über jegliche betriebswirtschaftliche Rentabilitätsrechnung hinwegsetzt und sich primär an den Bedürfnissen der Individuen orientiert.

[1] Simon (2000): Krankenhauspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen/Wiesbaden, S.61.

[2] Eichhorn, Peter/Greiling, Dorothea (2002): Das Krankenhaus als Unternehmen. In: Arnold, Michael/Klauber, Jürgen/Schnellschmidt, Henner (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2002. Stuttgart, S.41.

[3] Schellschmidt, Henner (2002): Editorial. In: Arnold/Klauber/Schnellschmidt (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2002. Stuttgart, S.7.

[4] Pelizzari, Alessandro (2004): „Besser, billiger, bürgernäher“? Privatisierungspolitik und ihre Hintergründe. In: Huffschmid, Jörg (Hrsg.): Die Privatisierung der Welt. Hamburg, S.20.

[5] Deppe, Hans-Ulrich (2002): Zur sozialen Anatomie des Gesundheitssystems. Neoliberalismus und Gesundheitspolitik. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Frankfurt a.M., S.214.

[6] Bischoff, Joachim (2004): Privatisierung öffentlicher Güter. Zentrales Instrument neoliberaler Gesellschaftspolitik. In: Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Jg.31, Heft 9, S.2.

[7] Rätz, Werner (2002): Der nächste Schritt: Die Zerstörung des solidarischen Gesundheitssystems. In: Attac Deutschland (Hrsg.): Eine andere Welt ist möglich. Hamburg, S.123.

[8] Vgl. Jungjohann, Kaia/Rehm, Fabian (2005): Ausstand der Ärzte. In: Jungle World, Jg.9, Nr.11.

[9] Braun, Bernard/Müller, Rolf/Timm, Andreas (2004): Gesundheitliche Belastungen, Arbeitsbedingungen und Erwerbsbiografien von Pflegekräften im Krankenhaus. Eine Untersuchung vor dem Hintergrund der DRG-Einführung. GEK-Edition Band 23. Sankt Augustin, S.21.

[10] Löser-Priester, Ingeborg (2003): Privatisierung öffentlicher Krankenhäuser und Partizipation der Beschäftigten. Eine Fallstudie zur Modernisierung des öffentlichen Dienstes. Frankfurt a.M., S.84.

[11] Bischoff, Claudia (1986): Hat die „Patientenorientierte Pflege“ Durchsetzungschancen? In: Jahrbuch für Kritische Medizin 11, Argument-Sonderband 131, Berlin, S.104.

[12] Wildcat (1988): Militante Untersuchung in der weißen Fabrik. In: Wildcat, Nr. 44, S.5.

[13] „Medizinische Leistungssteuerung meint ein Gesamtsystem der zentral-dezentralen Steuerung der wichtigsten Leistungsparameter und damit letztlich ärztlicher Entscheidungen über die Aufnahme, Behandlung, Verlegung oder Entlassung von Patienten.“, zit. nach Kühn, Hagen/Simon, Michael (2001): Anpassungsprozesse der Krankenhäuser an die prospektive Finanzierung (Budgets, Fallpauschalen) und ihre Auswirkungen auf die Patientenorientierung. Veröffentlichungsreihe der AG Public Health. Berlin: WZB, S.69.

[14] Simon, Michael (2001): Die Ökonomisierung des Krankenhauses: Der wachsende Einfluss ökonomischer Ziele auf patientenbezogene Entscheidungen. Veröffentlichungsreihe der AG Public Health. Berlin: WZB, S.35.

[15] Kühn, Hagen (2004): Die Ökonomisierungstendenz in der medizinischen Versorgung. In: Elsner/Gerlinger/Stegmüller, S.29.

[16] Braun/Müller/Timm (2004), S.20.

[17] Kühn (2004), S.28.

[18] WIKOM GmbH Wirtschaftskommunikation für das Gesundheitswesen: ver.di will kommunale Krankenhäuser retten. URL: http://www.kma-online.de/default.asp?navto=lesen&detailid= 100003&stammid=313&back=hsb (Zugriffsdatum, 20.01.2006).

[19] Zit. nach Wildcat (2005), S.5.

[20] Wildcat (1988), S.8.

[21] Ebd.

[22] Vgl. Betriebsrat Klinikum GmbH (2005): Service GmbH. Info – Teil 2. Flugblatt. Bayreuth.

[23] Vgl. Ver.di Bezirk Frankfurt und Region, Fachbereich 3 (2005): Anwesenheitsprämien und Leistungszulagen – skandalöse Gehaltsfestlegung. In: Goethes Faust. Betriebszeitung Uniklinik Frankfurt am Main, Ausgabe 1/2005, S.5-8.

[24] Vgl. Personalbelastungszahlen für die allgemeinen Krankenhäuser: Eigene Berechnungen auf Basis von: Fachserie 12, Reihe 6.1, Grunddaten 2003.

[25] Braun/Müller/Timm (2004), S.63f.

[26] Münch, Eugen (1997): Das flexible Krankenhaus. In: Das Krankenhaus, Jg. 89, Nr.8, S.466.

[27] Ramboll Management (2005): Gesetzentwurf für ein Gesetz über die Errichtung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg. Schriftliche Stellungnahme, S.8.

[28] Ebd.

[29] Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen wie die Gruppe „Kliniker gegen die 42 Stundenwoche“ in Marburg, die diese Hierarchien durchaus thematisiert.

[30] Meinhard Zumfelde, zit. nach: Globalisierung und Liberalisierung als Herausforderung für Gewerkschaften und Betriebsräte. Diskussion. In: Lorenz/Schneider (2004), S.157.