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Marx oder Derrida!

Eine Polemik

Juni 2006

I. Für den Marxismus ist es von fundierender Bedeutung, sich gegenüber neuen Entwicklungen in Kultur und Gesellschaft produktiv-aufnehmend zu verhalten. Denn er kann seine Interpretationskompetenz nur unter Beweis stellen, wenn er den objektiven Umwälzungen und den diversen Überbauformen, in denen sie ihre Spuren hinterlassen haben, seine Aufmerksamkeit schenkt. Nur durch das permanente Bemühen um kritische Realitätsaneignung kann er seinem (mittlerweile vielleicht vermessen klingenden) Anspruch, die Theorie umwälzender Praxis zu sein, gerecht werden. Es ist das fragwürdige Privileg einer angeblich „neutralen“ Wissenschaft und einer „kontemplativen“ Philosophie, den jeweiligen Zeitgeisttrends mit gestaltlosem „Interesse“ zu begegnen. Marxistisches Denken betrachtet wissenschaftliche und theoretische Entwicklungen dagegen vorrangig unter dem Aspekt, was sie für das Verständnis der Gegenwart beitragen können: Sind sie geeignet, das kompakte System von Selbsttäuschungen, zunehmend auch irrationalistischen Regressionen zu durchbrechen? Leisten sie einen Beitrag zur Infragestellung der hegemonial gewordenen Auffassung einer Unüberwindbarkeit des kapitalistischen Krisen- und Katastrophensystems? Fundieren sie das Wissen über die Möglichkeit eines alternativen Weltentwurfs, oder perpetuieren sie machtkonforme Resignation und schicksalsgestimmte Orientierungslosigkeit?

Weil der Marxismus auch in seinem Rezeptionsverhalten seinen Anspruch, eingreifendes Denken zu sein (ohne seine Identität preis zu geben), nicht abstreifen kann, mag er sich mit der deklaratorischen Selbstdefinitionen von Theorien und Erklärungsmodellen nicht zufrieden geben. Er fragt deshalb nach ihren intellektuellen und sozialen Entstehungsbedingungen und welchen Platz sie innerhalb des ideologischen Koordinatensystems einnehmen. Wird durch ihre Weltsicht (und oft auch schon durch die Spezifik ihres Vorgehens) die verbreitete Bewußtlosigkeit über die kollektiven Existenzbedingungen gefestigt oder geben sie Hinweise zur Entlarvung von Machtansprüchen? Und nicht zuletzt: Stimmen ihre subjektiven Relevanzvorstellungen mit ihrer objektiven Funktionalität überein?

Gemessen an den Reflexionsansprüchen kritischen Denkens, wirkt es einigermaßen befremdlich, daß Weingarten und Müller in ihrem Beitrag über „Das dekonstruktive Gespenst der Dialektik“[1] der marxistischen Diskussion hinsichtlich des Postmodernismus im Allgemeinen und des Derrida’schen Dekonstruktivismus im Besonderen eine voraussetzungslose Aneignungsbereitschaft nahe legen, wie sie sich auch bei der Kunstbeschäftigung innerhalb des hegemonialen kultur-bürokratischen Komplexes eingebürgert hat: Vom Rezipienten wird die vorgängige Akzeptanz erwartet, eine staunende Kenntnisnahme des Dargebotenen, dem Sinnhaftigkeit auch dann zu unterstellen ist, wenn sie sich nicht erschließen läßt.

Ohne daß von den Autoren auch nur angedeutet wird, worum es dem Dekonstruktivismus oder dem Postmodernismus inhaltlich geht, wogegen sie sich wenden (nicht nur ihre Ablehnung jeder Form eingreifenden Denkens, sondern auch von Rationalitätstypen, die für eine humane Realitätsbewältigung unverzichtbar sind, werden in unmißverständlicher Klarheit formuliert – obwohl ihre Wortführer sonst es vermeiden sich festzulegen) und welche eigenen Präferenzen sie prägen, bestehen Müller und Weingarten auf eine Rezeptionshaltung, die auf alle Sicherungsstandards kritischer Reflexion verzichtet – denn nichts anderes bedeutet ja die „Empfehlung“ vom „ideologiekritischen Vorbehalt“ (S. 137) Abschied zu nehmen.

Ideologiekritik wird von ihnen offensichtlich mit Schematismus gleichgesetzt. Dafür lassen sich sicherlich Beispiele finden - faktisch jedoch repräsentiert sie das Gegenteil: Sie geht von der Annahme aus, daß jedes Denken etwas gewordenes und vermitteltes ist, subjektiven Sinn und objektive Bedeutung besitzt. Ideologiekritik begreift Denken als kontextentstanden[2] und beschäftigt sich mit Relationen (mit dem Verhältnis eines Denkens zu anderen geistigen Objektivationen und deren jeweiliges Verhältnis zum Prozeß praktischer Weltaneignung). Bei alledem ist ihr jedoch nicht unbekannt, daß Denksysteme sich von ihren objektiven Voraussetzungen „emanzipieren“ können. Möglich geworden ist die Marxsche Ökonomie- und Gesellschaftskritik beispielsweise durch eine bestimmte Entwicklungsstufe des Kapitalismus, aber wie allgemein bekannt sein dürfte, bleibt sie diesem Horizont nicht verhaftet.

Wenn dennoch dem ideologiekritischen Vorgehen ein negatives Etikett angeheftet wird, geschieht das in intellektueller Abhängigkeit von einem postmodernistischen „Diskurswissen“, das Ideologiekritik unter Generalverdacht stellt, weil sie als Inbegriff einer Denktradition verstanden wird, die nicht nur zwischen Wahrheit und Lüge, Realität und Illusion zu unterscheiden bestrebt ist, sondern (und das wird geradezu als Gipfelpunkt intellektueller Anmaßung empfunden) auch noch nach der Interessengeprägtheit von Denkmustern und Sichtweisen fragt.[3] Daß die Profiteure einer antagonistischen Gesellschaftsentwicklung den Verzicht auf die Problematisierung der Interessengebundenheit ihres hegemonial gewordenen „Wissens“ begrüßen, ist leicht nachzuvollziehen. Warum aber kritisches Denken, gar der Marxismus auf das ideologiekritische, Machtimplikationen entlarvende Vorgehen verzichten soll, müßte erst noch begründet werden.

II. Jedoch nicht nur die kritische (also mit „ideologiekritischem Vorbehalt“ agierende) Beschäftigung mit den modephilosophischen Trends, sondern jegliche inhaltliche Thematisierung scheinen Müller/Weingarten mit einem Tabu belegen zu wollen. Jedenfalls verraten sie mit keinem Wort, aufgrund welcher intellektuellen Tiefendimension ihres Denkens sie uns die Beschäftigung mit Derrida, Foucault oder auch Agamben empfehlen: „Sind Dekonstruktivismus, Genealogie und all die anderen vorfindlichen Formen des Wissens nur und ausschließlich vorfindliche Formen, die ‚überwunden’, ‚aufgehoben’ werden müssen, um dann in dem so als Wissen rekonstruierten Wissen ‚enthalten’ zu sein – oder kann von Teilen dieses zunächst vorgefundenen Wissens mit Gründen[4] gesagt werden, daß es sich bei ihnen um Rekonstruktionen des vorfindlichen Wissens handelt, die zwar vielleicht hinsichtlich ihrer Form noch nicht äquivalent sind der Form der ‚Phänomenologie’ oder der ‚Kritik der politischen Ökonomie’, die aber sehr wohl schon Teile des Rekonstruktionsweges sind, wenn eben auch noch nicht die Rekonstruktion insgesamt. Könnte es nicht sein, dass bspw. die Philosophie Derridas ein solches Teilstück einer auf unsere Gegenwart bezogenen ‚Phänomenologie’[5] darstellt, ohne diese selbst schon zu sein?“ (S. 139)

Um welches „Wissen“ geht es? Wäre es nicht doch immer noch sinnvoll, statt nur ihre vorbehaltlose Anerkennung zu fordern, die Gedanken einer Epoche danach zu befragen, ob sie eine kritische und entfetischisierende Substanz haben? Ob sie eine aufklärenden Charakter besitzen, der den Menschen beim Verständnis ihrer Lebensumstände behilflich sein könnte, oder als affirmative Gedankenformen die realen Sachverhalte verschleiern? Würde es nicht sinnvoll sein, die diskursiven Positionen daraufhin zu befragen, ob sie eine distanzierte Haltung zu den bestehenden Machtstrukturen fördern oder eine bestehende Unterwerfungsbereitschaft verstärken? Jedoch solch naheliegende Fragen werden nicht gestellt, Hinweise, die eine Antwort zumindest erahnen ließen, werden vermieden.

Die marxistische Linke hat vieles aufzuarbeiten, weshalb sollte sie gerade mit Derrida beginnen? Auch darauf gibt es keine Antwort. Bemerkenswert aber ist, daß von Müller/Weingarten explizite auch gar nicht behauptet wird, daß Derrida philosophische Leistungen erbracht hätte, die ihn (wie eine distanzlose Apologie behauptet) „mit den großen Namen der philosophischen Tradition verbinden“ würden[6], jedoch gleichzeitig – und zwar ohne die Spur eines Hinweises darauf weshalb – nicht ausgeschlossen wird, daß dies durchaus möglich sein könnte. Dennoch solle seinem Denken – auch unabhängig von einer objektivierbaren Leistung – ein Sonderstatus zugesprochen werden und „als Rekonstruktion des vorfindlichen Wissens“ (S. 139; welches konkret gemeint ist, wird nicht verraten) im Gegensatz zu „anderen Gestalten des gegenwärtigen Bewußtseins“ (ebd.) dem Aufhebungs- und Überwindungsbemühen entzogen sein. Wenn Derrida in diesem Sinne nicht mehr Gegenstand philosophischer Bearbeitung werden könne, ein „aufhebendes“ und negierendes Verhältnis zu diesem Denken prinzipiell ausgeschlossen sein soll, dann würde mit dieser Philosophie die Geschichte menschlichen Denkens zum Stillstand gekommen sein.

III. In gewisser Weise haben Müller/Weingarten sogar recht: Dem Denken Derridas immanent sich zu nähern, setzt ein vorgängiges Einvernehmen voraus, denn seine Kategorien und Reflexionsstrukturen sind von selbstbezüglicher Geschlossenheit; sie sind nur auf sich selbst und nicht, wie Müller/Weingarten unterstellen, auf eine wie auch immer geartete Objektivität gerichtet, über die, Verständigung anstrebend, geredet werden könnte. Zwar dreht sich Derridas Denken an vielen Stellen um die Frage nach seinem Standort in Bezug auf die Realität. Jedoch wird diese Frage durchgängig mit Gesten eines resignativen Subjektivismus beantwortet, dem es gewiß scheint, daß die Realität unerreichbar bleibt: Im Prozeß der Dekonstruktion soll es deshalb keine Orientierung auf eine Außenwelt mehr geben.

Mit seinem Schreiben hofft Derrida, „dem sinnproduzierenden Diskurs (als den er die Dialektik begreift)“ entkommen zu können.[7] Intendiert wird ein Gleiten innerhalb eines nur dem Subjekt der Dekonstruktion zugänglichen Erfahrungsraumes, den Derrida um so intensiver zu erfassen zu können glaubt, je konsequenter er auf herkömmliche Logiken, einschließlich sprachlicher Gesetzmäßigkeiten verzichtet. Dennoch bricht er „die Brücke zur sinnhaften Rede nie ganz ab und hält … [seine Ausführungen] so zwischen Sinn und Nicht-Sinn in der Schwebe. So kann Derrida dieses Schreiben als eines bestimmen, das sich jeglicher Bestimmung entzieht. Es ist weder wahr noch falsch, weder wahrhaftig noch unaufrichtig.“[8] Das dieses dekonstruktivistische Selbstverständnis nicht ganz den Tatsachen entspricht, es auf einer „untergründigen“ Ebene eine inhaltliche Ausrichtung auf eine prinzipielle Sinn- und Orientierungslosigkeit sehr wohl gibt, werden wir noch sehen. Als Bestandteil einer theoretischen Immunisierungsstrategie ist die Behauptung, keine Festlegungen vorzunehmen, dennoch geeignet, zu verhindern, daß dekonstruktivistisches Argumentieren auch nur an irgend einem Punkt beim Wort genommen werden kann.

Befördert dieses Verfahren auch nicht die Entwicklung emanzipatorischen Wissens und wirkt es bei der Beschäftigung mit machtkonformer Rede kontraproduktiv, so eignet es sich doch vorzüglich zur Einübung einer normativen und mentalen „Flexibilität“, die den divergierenden Ansprüchen „postmoderner Lebensverhältnisse“ angemessen scheint: Legitimiert werden intellektuelle Bedenken- und soziale Verantwortungslosigkeit, somit einer zeitgemäßen Dienstleistungsintelligenz ein Begründungskontext geboten. Die dekonstruktivistische „Flexibilität“ ermöglicht „nein“ zu sagen – und sich doch bejahend zu verhalten; sie erlaubt alles in Anspruch zu nehmen – und es dennoch zu verwerfen; sie ermöglicht herrschaftskonforme Positionierungen – und dennoch das Vorgehen als „kritisch“ zu etikettieren.

Derridas weltanschauliche Grundorientierungen beinhalten natürlich auch die Infragestellung einer wie auch immer gearteten „Widerspiegelung“[9] objektiver Sachverhalte: Den „Signifikanten“ ist kein „Signifikat“ zugeordnet. Es gibt für die philosophische Beschäftigung keine Welt jenseits des Textes. Derrida unterscheidet sich somit in zwei Punkten elementar von der dialektischen Denktradition: Seiner Philosophie sind sowohl die Vermittlungsdimensionen des Geistes (Hegel), als auch die sozial-ontologischen Bezüge (Marx) fremd. Es gehe nicht mehr um eine „Ontologie“ im Marxschen Sinne[10], also einen objektiven Weltbezug, sondern er habe, sagt Derrida, „vielmehr eine andere Struktur der ‚Präsentation’ im Blick, in einer Geste des Denkens und des Schreibens.“[11]

Die inhaltliche und konzeptionelle Differenz könnte größer nicht sein: Wenn auch mit divergierenden Intentionen versuchen Hegel und Marx eine objektive Welt „in Gedanken zu fassen“. Sie haben das „Material“ ihres Denkens der Geschichte entnommen (Hegel) und sind bemüht, die Bewegungsstrukturen einer Gesellschaftsformation empirisch überprüfbar zu erfassen (Marx). Dagegen hat Derrida niemals einen Zweifel daran gelassen, daß der intellektuelle Kosmos der Dekonstruktion eine aparte Welt darstellt, die zu keiner anderen, vor allem nicht zu einer „objektiven“ im Verhältnis steht. „Innerhalb des Systems von Differenzen, das die Sprache ist, funktioniert jeder Signifikant vermöge einer Verweisung auf andere Signifikanten, die niemals in einem Signifikat an ihr Ende gelangt.“[12]

Diese philosophische Orientierung führt zu einer Konsequenz, auf die Müller/Weingarten mit keinem Wort eingehen: Der dekonstruktivistische Diskurs läßt keine verbindliche Aussagen über sich gelten. Jede Darlegung über die Spezifik seiner „Methode“ und seine Inhalte unterliegt dem grundsätzlichen Vorbehalt, daß alles auch ganz anders gemeint sein könnte. Nicht einmal für einen hermeneutischen Umgang im Sinne von Interpretation und Bedeutungsanalyse wird Raum gelassen. Deshalb ist die „Arbeit am Begriff“ des Dekonstruktivismus“, seine „begrifflich-logische Rekonstruktion“ (S. 138) mit der Tatsache konfrontiert, daß er sich einem solchen Bemühen systematisch entzieht. Er nimmt für sich eine prinzipielle „Unabgeschlossenheit“ in Anspruch, der „nachgefolgt“ werden könne, die aber nicht bestimmbar sei.

Eine von Müller/Weingarten eingeforderte „Dialogizität“ des Denkens und Sprechens ist durch die Prämissen des Dekonstruktivismus von vornherein ausgeschlossen. Nur Aufgrund seines bedenkenlosen Eklektizismus kann Derrida von einer Hinwendung zum Anderen sprechen. In der systematischen Perspektive seines Denkens ist ein solches Begehren jedoch nur rhetorisches Blendwerk, denn daß der Philosoph nur mit sich selbst spricht (und sprechen kann!), ist seine unerschütterliche Grundüberzeugung. Die zunächst empirisch zutreffende Feststellung, „dass jeder jeweils von einer anderen Axiomatik, Perspektive und Diskursstrategie ausgeht“[13] wird deshalb nicht zum Anlaß genommen, um nach einer gemeinsamen Basis, der Existenz eines objektiven Ausgangspunktes zu fragen. Die Vielgestaltigkeit der Orientierungen wird als irreversibel festgeschrieben, damit aber eine verständige Übereinkunft, auch nur die Möglichkeit eines Argumentierens mit wechselseitigen Befruchtungseffekten in Frage gestellt. Nicht der Erfahrungsaustausch mit anderen, nicht die Vermittlung eines subjektiven Erlebnisraumes zu objektiven Erfahrungsdimensionen bildet den Bezugspunkt, sondern ein subjektivistischer Erkenntnisabsolutismus: „Nur Derrida kann uns zu den Mitteln verhelfen, mit denen sich diese Situation begreifen läßt.“[14]

Mit der weltanschaulichen Einordnung zwischen subjektivistischer „Selbstgenügsamkeit“ und der Unvermittelbarkeit von „Wissensformen“ wird nicht nur die Überzeugung einer prinzipiellen Unerkennbarkeit von Gesellschaft und Geschichte „fundiert“, sondern der Dekonstruktivismus auch gegen jegliche Kritik immunisiert. Denn durch seine zirkuläre Argumentationspraxis entzieht er sich nicht nur jeder (Selbst-)Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit, sondern auch der Frage nach der Verläßlichkeit seiner Lektürepraxis.[15] Sie wird in ihrem Kern weder von den Inhalten und Strukturen der aufgenommenen Positionen noch von objektiven Tatbeständen tangiert. Selbst wenn es sich „ergeben sollte, daß Derrida einen Autor oder einen Text, den er dekonstruiert, nicht richtig liest oder versteht, bildet dies selbstverständlich nicht das eigentliche Ziel der Unternehmung. Dies ist gewissermaßen ein Nebenprodukt. Als solches hat es keinerlei Gewicht, sondern allenfalls als Element einer Dekonstruktion. Das Mitvollziehen der dekonstruierenden Bewegung und die dabei zustande kommenden Veränderungen dieser Bewegung selbst sind viel wichtiger und bilden das ‚Worumwillen’ meiner Bewegung.“[16]

Daraus ergibt sich für eine Beschäftigung mit Derrida, die nicht bereit ist, kritiklos seinem Nachspüren der „Spur“ (auf diese Kategorie wird noch einzugehen sein) zu folgen und die nicht das Bedürfnis verspürt, seine Prämissen umstandslos zu akzeptieren, also ein „Philosophieren“ auf den Knien und mit gesenktem Kopf für unangemessen hält, eine zwingende Konsequenz: Sie muß zwangsläufig immer in einem „Außenverhältnis“ bleiben, d.h. ihr Vorgehen ein ideologiekritisch intendiertes sein.

IV. Trotz seiner ambitionierten Geltungsansprüche und einer weitgehenden Kompatibilität mit einem resignativen „Zeitgeist“, dem die krisengeprägte Resignation und Perspektivlosigkeit unüberwindbar scheint, hat Derrida den Eindruck zu erwecken verstanden, daß seine Vorgehensweise ebenso „antitotalitär“ gestimmt, wie „subversiv“ und „kritisch“ konditioniert wäre. Erreicht wird dieser Eindruck durch ein schon zur Routine gewordenes Verfahren: Es wird an die Orientierungen und Begriffe einer progressiven Traditionslinie angeschlossen, ihr Sinn „interpretativ“ jedoch in das Gegenteil verkehrt. So spricht Derrida von der Notwendigkeit einer „Repolitisierung“ von Marx, aber sie soll so vonstatten gehen, daß sie das „abstreift, was ... das Politische an das Ontologische gekettet hat ... an einen bestimmten Begriff der Wirksamkeit oder des Gegenwärtigseins“.[17] Die „Repolitisierung“ soll also geleistet werden, indem sie sich einer rationalen Wirklichkeitsaneignung („des Gegenwärtigseins“) verweigert und Abschied vom eingreifenden Handeln („der Wirksamkeit“) nimmt. Marx soll also durch die Infragestellung der Grundlagen seines Denkens, durch den Abschied von einem theoretischem Weltbezug und durch den Verzicht auf eine praxisphilosophische Perspektive „repolitisiert“ werden.

Eine solch fundamentale Revision hindert Derrida jedoch nicht daran, zu behaupten, daß er sich weiter von einem „Gravitationsfeld Marx“ angezogen fühle und „sich weiter von einem gewissen Geist des Marxismus inspirieren“ lassen möchte.[18] Jedoch wird diese „Inspiration“ mit dem Programm verknüpft, alles, aber auch wirklich alles aus dem Marxismus zu entfernen, was seine theoretische Substanz ausmacht und seine politische Identität begründet! Marx, so sagt Derrida einleitend zum Programm seiner Marxismus-Demontage, sei geprägt von „einem Geist der Aufklärung“, auf den er nicht verzichten wolle. „Wir werden diesen Geist von anderen Geistern des Marxismus unterscheiden, jenen, die ihn dem Körper einer marxistischen Doktrin einverleiben, ihrer vorgeblichen systemischen metaphysischen oder ontologischen Totalität (namentlich der ‚dialektischen Methode’ oder der ‚materialistischen Dialektik’), ihren grundlegenden Begriffen der Arbeit, der Produktionsweise, der sozialen Klasse, und infolgedessen [!] der ganzen Geschichte ihrer (projektierten oder realen) Apparate: den Internationalen der Arbeiterbewegung, der Diktatur des Proletariats, der Einheitspartei, dem Staat und schließlich der totalitären Monstrosität.“[19]

Dieses Zitat spricht weitgehend für sich selbst. Explizit festgehalten werden sollte dennoch zweierlei: Derrida reklamiert für sein Vorgehen den „Geist der Aufklärung“ – um in dessen Namen die Destruktion des Marxismus als konkrete Aufklärungsphilosophie zu betreiben. Nicht nur die marxistischen Kategorien, die für das Verständnis und die Kritik des Kapitalismus unerläßlich sind, sollen eliminiert werden, sondern auch die methodischen Grundlagen, die es ermöglichen zwischen Realität und Ideologie zu unterscheiden und das kritische Denken in die Lage versetzen, das Verborgene (und Verschwiegene) zu thematisieren. Auch hinter dieser „antitotalitären“ Geste, verbirgt sich die Forderung, jede Form rationaler Weltaneignung und jedes Bemühen zwischen Ursachen und Wirkungen analytisch zu differenzieren, aufzugeben. Dieses Verlangen bewegt sich im Windschatten eines postmodernistischen Dialektik(un)verständnisses, das jeden Vorgang begrifflicher Präzisierung und theoretischer Rekonstruktion von Kausalitätsverhältnissen mit intellektuellem Terrorismus und Selbstreflexion mit Unterwerfung gleichgesetzt.[20] Bemerkenswert ist auch, daß Derrida (in offensichtlicher Abhängigkeit von bürgerlichen Totalitarismustheorien) Bürokratismus und stalinistische Deformationen linear aus dem sozial-ontologischen und dialektisch-analytischen Selbstverständnis des Marxismus ableitet. Diese Deduktion läßt keinen Zweifel daran, daß „Einheitspartei ... und totalitäre Monströsität“ aus den „grundlegenden Begriffen“ von Marx resultieren. Und nebenbei gesagt: Der Suspendierungsversuch des marxistischen Arbeitsbegriffs bedeutet nicht weniger, als die Infragestellung des Selbstbestimmungsanspruchs der arbeitenden Männer und Frauen.

Spätestens jetzt sollten wir die Fürsprecher einer bedingungslosen „Offenheit“ des Marxismus-Denkens fragen, ob es nicht vielleicht doch Sinn macht - zumindest das eine oder andere Mal - die Klassifizierungen „nicht-marxistisch und anti-marxistisch“ (S. 137) zu verwenden? Setzt eine solche Differenzierung uns überhaupt nicht erst in die Lage, produktiv mit dem Postmodernismus oder dem Dekonstruktivismus umzugehen? Wie wäre es einem Denken in der Tradition von Marx sonst möglich, theoretisch angemessen darauf zu reagieren, wenn Derrida mit generöser Geste behauptet, „zumindest provisorisch“ (wie er sich ausdrückt), jener „Form der kritischen Analyse, die wir von Marx geerbt haben“ zu vertrauen[21] und die Auffassung zu akzeptieren, daß „hegemoniale Kräfte immer durch eine herrschende Rhetorik und Ideologie repräsentiert“ (ebd.) seien – diese „Hinwendung“ zu Marx gleichzeitig jedoch mit der Forderung verbindet, auf alle Denkvoraussetzungen zu verzichten, die es ermöglichen, solche Sachverhalte zu erfassen? Denn für seine Akzeptanz dieser marxistischen Formulierungen (!) klagt Derrida gleichzeitig einen hohen Tribut ein: Vom „herrschenden Diskurs und von herrschenden Vorstellungen und Ideen“[22] solle gesprochen werden, „ohne unbedingt den Begriff der sozialen Klasse zu unterschreiben, durch den Marx so oft, besonders in der Deutschen Ideologie, die Kräfte bestimmt hat, die sich die Vorherrschaft streitig machen.“[23] Denken ohne seine sozio-kulturellen Vermittlungen zu betrachten (denn das würde faktisch ja der Verzicht auf die Klassenkategorie bedeuten!), würde marxistische Analyse nicht nur seiner kritischen, sondern jeglicher theoretischen Substanz berauben.[24] Der Marxismus würde „entkernt“ und zu einer leeren Hülle, die bestenfalls noch geeignet ist, als Schreckgespenst auf intellektuellen Maskenbällen vorgeführt zu werden. Mit der Feststellung, „da man den Marxismus nicht ‚übertreffen kann, schafft man ihn eben ab“[25], hatte schon Sartre dieses Vorgehen charakterisiert.

Ohne Zweifel ist marxistische Selbstkritik unabdingbar und der Prozeß einer anstrengenden Selbstvergewisserung noch lange nicht abgeschlossen. Ob jedoch die Theorien intellektueller Selbstgefälligkeit und – wie wir noch sehen werden – einer herrschaftskonformen „Gestimmtheit“ gute Dienste dabei leisten können, ist mehr als fragwürdig: „Die Theoriegeschichte des Marxismus ist durch zahlreiche Ansätze zur Selbstreflexion gekennzeichnet ... bislang hat die Postmoderne nichts annähernd gleichwertiges geliefert.“[26]

IV. Eins muß Derrida jedoch zugestanden werden: Er wird mit seinem Vorgehen der doppeldeutigen Überschrift des Kapitels, in dem er diesen Weg der Marxismus-Destruktion vorschlägt, vollauf gerecht. „Conjurer – le marxisme“ wird in der deutschen Ausgabe mit „Den Marxismus beschwören“ wiedergegeben. Aber, und der Übersetzer weist korrekterweise darauf hin, „conjurer“ bedeutet im französichen auch, „sich verschwören“. Und diese „Verschwörung“ hat Methode[27], die, wie wir gesehen haben, durch die Annäherung und gleichzeitige „Umwertung“ von Theoremen einer kritischen Theorietradition realisiert wird. Mit erstaunlich geringem argumentativen Aufwand werden Begriffe in ihr Gegenteil verkehrt, aber weiter auf die Überzeugungskraft ihrer sinnentleerten Hülle („Marxismus“, „Aufklärung“) gebaut. Es wird das Gegenteil des ursprünglich Intendierten (das praktische und theoretisch reflektierte Engagement im Falle des Begriff der „Politisierung“) in diese Begriffe hinein gelegt. An ihnen wird in täuschender Absicht nicht nur festgehalten, sie werden auch demonstrativ in den Vordergrund geschoben. Durch diese Vorgehensweise werden systematisch die zentralen Kategorien, mit deren Hilfe den herrschenden Verhältnissen ein kritischer Spiegel vorgehalten werden könnte, von innen heraus entwertet.

Besonders aufschlußreich für das Verständnis der „kritischen Substanz“ seines Denkens ist Derridas Umgang mit der „großen Erzählung“ einer „neuen Weltordnung“ des Kapitals. Er listet in zehn Punkten einige ihrer offensichtlichen „Wunden“ auf.[28] Er spricht von Arbeitslosigkeit, dem Ausschluß der Obdachlosen vom gesellschaftlichen Leben und dem Schicksal der Emigranten. Er identifiziert die Auslandsschulden als Grund dafür, daß ein großer Teil „der Menschheit in Hunger und Verzweiflung“ leben muß.[29] Und welche Schlußfolgerungen zieht er daraus? In einem Akt radikaler Selbstüberbietung fordert er, den „internationalen Institutionen ... Respekt“ zu zollen.[30]

Derrida springt als „antikapitalistischer“ Tiger – und landet als legalistischer Bettvorleger. Denn von den eigentlichen Ursachen der globalen Katastrophenentwicklung, einer destruktiven Grundtendenz der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise, ihrem Zwang zur Ausdehnung und Vereinnahmung, ihrer immanenten Tendenz zur zivilisatorischen Selbstzerstörung ist ebensowenig die Rede, wie von der Zwangsläufigkeit der sozialen Polarisierung durch das systemimmanente Akkumulations- und Ausbeutungstreben.[31] Stattdessen werden Destruktionsentwicklungen enthistorisiert, indem sie nicht zu sozialen Konstellationen in Beziehung gesetzt, sondern zu Konstanten der menschlichen Existenz hypostasiert werden, die nur durch eine „unvorstellbare Revolution“[32] (also faktisch überhaupt nicht) zu suspendieren wären. Von der Rüstungsindustrie und dem Waffenhandel behauptet Derrida, daß sie „in die normale Steuerung der wissenschaftlichen Forschung, der Wirtschaft und der Kollektivierung der Arbeit [!] in den abendländischen Demokratien eingeschrieben“ wären.[33] Und auch die „interethnischen Kriege“ werden „interpretativ“ aus ihren konkreten, historischen und ökonomischen Zusammenhängen gerissen und der Vorstellung einer irreversiblen Vorbestimmung durch archaische Dispositionen (die natürlich auch eine Rolle[34], aber keine exklusive spielen) subsumiert: Sie „vermehren sich, geleitet von einem archaischen Phantasma und einem archaischen Begriff, von einem primitiven begrifflichen Phantasma der Gemeinschaft, des Nationalstaats, der Souveränität, der Grenzen, des Bodens und des Bluts.“[35] Ein solcher Modus der „Naturalisierung“ historischer Tatbestände repräsentiert keinen „Ausrutscher“ Derridas, sondern ist eine wiederkehrende Konstante seines Denkens, wie noch durch viele andere Beispiele belegt werden könnte.

Eine desorientierte Linke begegnet der Kritik an den Zeitgeistdiskursen der Lyotard und Foucault, der Deleuze, Agamben und Derrida nicht selten mit der Frage, ob nicht doch etwas bemerkens- und bedenkenswertes hinter ihren Theorien „verborgen“ sein könnte. Ja würden sie doch endlich einmal die von ihnen angestarrten Zauberbücher lesen: Die Lektüre könnte zu einer klaren Antwort führen. Denn tatsächlich verbirgt sich hinter der „Unübersichtlichkeit“ ihrer Redeinszenierungen etwas – und zwar nicht selten konservative, wenn nicht sogar objektiv reaktionäre Orientierungen: „Mit modernistischer Attitüde begründen sie einen unversöhnlichen Antimodernismus.“[36] Werden die sorgsam aufgebauten intellektuellen Fassaden beiseite geschoben, erweisen sich der Dekonstruktivismus und der Postmodernismus als Destruktionsversuche kritischen Denkens. Denn mit der Realität sich verständig auseinander zu setzten, systematisch nach den Ursachen für sozio-kulturelle Pathologien zu fragen oder die strukturelle Dimension von Aggression und Verelendung zu thematisieren, wird als geistespolizeiliche Intervention denunziert. Derrida weigert sich, mit theoretischen Argumenten selbst Faschismus und Rassismus in die Schranken zu weisen. Auch wenn er gegen ihr konkretes Auftreten politisch Stellung bezieht, hält er eine theoretisch begründete Gegenposition, eine philosophisch „geschlossene und identifizierbare Kohärenz“ anstrebende Argumentationsbasis gegenüber „Totalitarismus, Faschismus, Nazismus, Rassismus, Antisemitismus“, für unerreichbar[37]! Die Anerkennung eines intellektuellen „Asylrechts“ für die „Logik des derart inkriminierten Diskurses“[38] begreift er allemal als akzeptabler als dessen dezidierte „Entlarvung“ und die Offenlegung seiner gesellschaftlichen Wurzeln: „Das Vorhaben einer solchen formalisierenden und sättigenden Totalisierung scheint mir gerade der wesentliche Charakter jener Logik zu sein, deren ... ethisch-politische Folgen entsetzlich sein können und die ich, das ist eine meiner Regeln, niemals anerkennen werde, koste es, was es wolle.“[39]

V. Affirmative Weltbildelemente und implizite Komplizenschaften sind zu den Grundstrukturen des Derrida’schen Denkens vermittelt, in dem das Tote über das Lebendige dominiert[40] und das mit der Inszenierung einer „Alptraumwelt des Unbekannten“ (Baudelaire) den Eindruck einer schicksalhaften Verstrickung der Menschen erzeugt[41]: Ihr Denken und Handeln werden als vorbestimmt begriffen. Das Heidegger´sche „Geschick des Seins“[42], dem die Menschen nicht entkommen könnten, wird von Derrida als „Spur“ identifiziert, die allen Seinsweisen, sie letztlich determinierend, zugrund liegt, ohne daß jedoch ihre Bedeutung (ihre Implikation) erfaßt werden könnte. Versuche, sich trotzdem in einer Welt (die als absolute Vergangenheit, die niemals gegenwärtig sein kann[43], charakterisiert wird), rational zu orientieren, schlagen nach seiner Auffassung notwendigerweise ins Gegenteil des Intendierten um – sie gelangen prinzipiell über ein „wahnsinniges Umherirren“ nicht hinaus.[44]

Die als ziellose Kreisbewegung begriffene Geschichte findet ihre Entsprechung in einer dekonstruktivistischen Theoriepraxis, die „nichts besagen“ (Derrida) will und in der die Realität durch einen Prozeß „unendlicher“ Interpretation und eines ziellosen Fragens in einer Nebelwelt von Übergängen, Differenzen, Verschiebungen, Spaltungen etc. aufgelöst wird: Es gibt „kein Ding an sich außerhalb des Netzes von Verweisungen ... innerhalb dessen die Zeichen fungieren“.[45] Das Zergliedern gerät somit zum Selbstzweck, ihm steht keine verständig-rekonstruktive Aktivität gegenüber. „Man hätte nichts von der Dekonstruktion begriffen, wollte man annehmen, diese Durchquerung des Textes des anderen sei nichts als ein Mittel, um einen bestimmten Zweck zu erreichen und am Ende zu thetischen Schlussfolgerungen zu gelangen. Es gibt (ohne daß darum alle gleichwertig wären) nichts als solche Durchquerungen.“[46] Interpretation im Sinne Nietzsches tritt an die Stelle von Tatsachen, die interpretative Bewegung wird jedoch zum Vorgang des Verschwindens vermittelst der vieldeutigen Rede stilisiert: „Zu sagen, daß es nichts mehr zu sagen gibt, das ist der Horizont dieses Suspendierens/Suspenses des Sinns im Dekonstruktivismus.“[47]

Marxistisches Denken kann sich mit solch inszenierten Kreisbewegungen deshalb nicht anfreunden, weil ihr unvermeidliches Ergebnis ein „Schweigen“ über die realen Sachverhalte ist. Es ist dezidiert der Meinung, daß es noch etwas zu sagen gibt: Es will über humane Selbstbestimmungsansprüche und die Anmaßungen machtkonformer Präsentationspraktiken reden, den Prozeß der Ausbeutung und die Systematik der Herrschaftssicherung analysieren und intersubjektiv nachvollziehbar darüber kommunizieren. Der Marxismus will die Ursachen der zivilisatorischen Verfallsprozesse benennen und seine Einsicht verbreiten, daß die Perpetuierung des Unwissens über ihre ökonomischen, sozialen und kulturellen Existenzbedingungen schon immer ein dringendes Anliegen herrschender Klassen gewesen ist. Es ihm ein Grundbedürfnis, weiter die vom Diskurs diskreditierten Fragen zu stellen: „Wem nutzen ... Antirealismus, Agnostizismus und Vernunftfeindlichkeit, das Theorem der Unerkennbarkeit der Welt (logischerweise auch der kapitalistisch verfaßten), das Leugnen der Wahrheitskategorie, der Konzepte von Utopie und menschlicher Würde, der Geltung universaler ethisch-politischer und rechtlicher Normen (also von Menschenwürde und Völkerrecht), die Denunziation von Aufklärung, Humanismus, Sozialismus und selbstbewußter Subjektivität?“[48]

VI. Das Denken philosophischer Popstars wie Derrida zeichnet sich nicht durch theoretische Stringenz aus, sondern ist durch das Jonglieren mit symbolischen Codes geprägt, die aufgrund ihres mehrdeutigen Charakters scheinbar nach vielen Seiten offen sind (das garantiert auch ihre assoziative Wirkung). Jedoch ist es die Offenheit einer Reuse, jenes Fischfanginstruments, das der Beute (der um weltanschauliche Orientierung bemühten Intelligenz) ein leichtes Eindringen ermöglicht, sie aber nicht wieder heraus läßt. Dieser Effekt entsteht, weil die unterschiedliche Weltanschauungsbedürfnisse befriedigenden Codes mit einem System untergründiger Bedeutungen (beispielsweise mit zeitgeistkonformer Resignation und selbstgenügsamer „Unentschiedenheit“) verbunden sind.

Zelebriert wird eine erhabene Inhaltslosigkeit als Weltanschauungsfolie, die sich hinter vieldeutigen Andeutungen versteckt und mit dem latenten Versprechen operiert, daß im Fortgang der Assoziationen „noch etwas kommen“ werde. Vordergründig wird eine gegenüber dem weltanschaulichen Konformitätsdruck widerstandslose Intelligenz beim Durchschreiten dieses „anregenden“ Märchenwaldes von Festlegungen „entlastet“, aber gleichzeitig zur Akzeptanz dieser Inszenierungspraxis verpflichtet, die automatisch inhaltlich geprägte „Stimmungen“ erzeugt: Durch sie wird die Abkehr von jeder Bedeutung abgesichert. Vordergründig wird durch diese Argumentationspraxis das Denken von der Auseinandersetzung mit der (klassenantagonistisch geprägten) Realität entlastet, faktisch aber dessen repressivem Gravitationsfeld ausgeliefert.

Zweifellos existieren für die verbreitete Orientierungslosigkeit und das Bedürfnis nach Realitätsabwendung objektive Ursachen. Der Dekonstruktivismus trägt aber nichts zum Verständnis dieser Erkenntnisblockaden bei; sie werden im Gegenteil von ihm perpetuiert: Alle Probleme verschwinden in der Dämmerung des entgrenzten Sprechens. Das Denken richtet sich in einem Schattenreich ein, ist durch seine Denkvoraussetzungen nicht mehr fähig, Licht in das Dunkel zu bringen, auf das es sich „diskursiv“ bezieht.

Durch die Kenntnisnahme seiner ideologischen Effekte wird auch deutlich, daß es dem Dekonstruktivismus offensichtlich nicht, wie eine um Zustimmung buhlende Apologie behauptet, um die Sensibilisierung für inhaltliche Ambivalenzen und textuale Mehrdeutigkeiten, sondern um die Durchsetzung des Dogmas einer prinzipiellen „Unlesbarkeit“ der Welt geht: Nichts sei eindeutig erfaßbar und zusammenhängend begreifbar, kein Unterschied zwischen „Text“ und Interpretation zu bezeichnen.

Mit dieser Praxis des Lesens und Sprechens bleibt der Dekonstruktivismus hinter einem zentralen Selbstanspruch zurück. Denn ginge es tatsächlich um die Erfassung von inhaltlichen Ambivalenzen, müßten ja zumindest Unterscheidungsmerkmale festgehalten werden; davon kann jedoch keine Rede sein. Durch das Spiel unendlicher Kontextverweise und die penetranten, lexikalisch inspirierten Aufzählungen von Bedeutungsvarianten (in der ästhetischen Theorie würde diese Vorgehensweise als „Manier“, in der Alltagssprache als „Masche“ bezeichnet), wird jede Textkohärenz zersetzt. „Produziert“ werden unvermittelte „Einheiten“, von denen Derrida sagt, daß sie „von ihrem inneren oder äußeren Kontext trennbar sind und von sich selbst trennbar sind, sofern die Iterierbarkeit selbst, die ihre Identität konstituiert, es ihnen nie gestattet, eine Identitätseinheit für sich zu sein.“[49]

Die „Dekonstruktion“ erweckt nicht zufällig den Eindruck, daß ihr „Sinn“ mit den sprachlichen Inszenierungspraktiken zusammenfällt. Der „ethische“ Anspruch der Dekonstruktion, dem Ausgegrenzten und Marginalisierten „Gerechtigkeit“ wiederfahren zu lassen, wird durch solche „methodischen“ Fixierungen jedoch konterkariert. Denn dazu müßten partielle Momente „identifiziert“, als zu anderen Faktoren vermittelte „Einheiten“ gefaßt werden. Aber genau eine solche verstehende Hinwendung zu Sachverhalten und individuellen Existenzen schließt das „fließende“ und einen permanenten Bedeutungswandel behauptende Denken aus.

Derridas Philosophie ist eine Tendenz zur Verabsolutierung inhärent, die dazu führt, daß auch im Prinzip richtige Denkansätze in Ideologie umschlagen. Natürlich gibt es einen permanenten Wandel von „Bedeutungen“, aber auch dieser ist objektivierbar. Darüber haben die Sinnverschiebungen nicht nur eine „dezentrierende“ Tendenz (wie Derrida unterstellt): Sie können auch dem Erkenntnisbemühen förderlich sein, zu neuen Klarheiten führen. Das hegemoniale Denken hat beispielsweise den Freiheitsbegriff so gründlich transformiert, daß er vom hegemonialen Block sehr oft mit seiner „Freiheit“ zur Kapitalverwertung gleichgesetzt werden kann. Doch die Überspannung der ursprünglichen Bedeutung ruft auch wieder kritische Gegentendenzen mit machtkritischen Entlarvungseffekten hervor. Alle diese „Sinnverschiebungen“ sind, wie gesagt, aus ihrem Kontext heraus verstehbar. Derrida unterstellt jedoch das Gegenteil. Er verabsolutiert die Kontextualität und behauptet, daß durch sie in den Begriffen „eine gewisse reine und unendliche Mehrdeutigkeit [verankert] ist, die dem bezeichneten Sinn keinen Aufschub und keine Ruhe läßt“[50]. Theoretisch legitimiert der Dekonstruktivismus diese Auffassung durch die Gleichsetzung der tatsächlich stattfindenden Sinnverschiebung mit Sinnverfall: Die „Rückverweisung eines Signifikanten auf einen Signifikanten“ bleibt unbestimmt.[51]

Die zum Prinzip erhobene Desorientierung stellt für den Dekonstruktivismus einen Wert an sich dar: Die Texte defundieren, verlieren sich in der Unendlichkeit der Lektüre von Lektüren. Dieses intellektuelle perpetuum mobile wird zusätzlich noch durch den konstitutiven Selbstwiderspruch des Derrida’schen Denkens in Betrieb gehalten: Die theoretische Infragestellung subjektiver Geltungsansprüche auf extrem subjektivistischer (irrationalistischer) Grundlage garantiert eine ziellose und „unendliche“ Selbstbewegung des Diskurses.

Emanzipatorisches Orientierungswissen kann unter diesen Voraussetzungen nicht entstehen. Aber noch weniger lassen sich durch das dekonstruktivistische Geschichtsverständnis Perspektiven sozio-kultureller Selbstbestimmung fundieren. Derridas Denken in Kategorien der Vorgeprägtheit steht im konträren Gegensatz zum praxisphilosophischen Verständnis der Geschichte als eines wechselseitigen Bedingungsverhältnis von Mensch und Gesellschaft,[52] das grundsätzlich durch Handlungsalternativen charakterisiert ist:[53] „Der Mensch macht seine Lebenstätigkeit selbst zum Gegenstand seines Wollens und seines Bewußtseins. Er hat bewußte Lebenstätigkeit. Es ist nicht eine Bestimmtheit mit der er unmittelbar zusammenfällt.“[54] Es bedarf keiner angestrengten philologischen Übung um festzustellen: Marx und Derrida sind nicht vermittelbar, denn sie sind theoretische Antipoden.

Der Marxismus-Diskurs steht zweifellos vor einer ganzen Reihe ungelöster Probleme. Identitätsstiftende Gewißheiten haben sich verbraucht und zentrale Kategorien müssen vor dem Hintergrund veränderter Problemkonstellationen einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Auch gibt es gesellschaftliche Veränderungen, die die Substanz seines sozialanalytischen Wissens berühren. Um nur ein Beispiel zu nennen: Traditionell ist der Begriff der Produktivkraftentwicklung in marxistischen Kontexten positiv besetzt. Kann daran aber unter den Bedingungen des entwickelten Kapitalismus, dessen Produktivkräfte immer häufiger als Destruktionskräfte wirken, festgehalten werden? Es ist jedoch mehr als fraglich, ob der Dekonstruktivismus bei der Überwindung marxistischer Orientierungsblockaden einen positiven Beitrag leisten, die postmodernistische Selbstgefälligkeit auch nur ein Durchgangsstadium zum kritischen Denken bilden kann.

VII. Es ist auch kein Anhaltspunkt zu erkennen – und auch Müller und Weingarten haben keinen benannt – der die Auffassung begründen könnte, daß der Dekonstruktivismus auch nur ansatzweise in der Lage wäre, in selbstaufklärerischer Tendenz die Welt „in Gedanken zu fassen“. Das bedeutet nicht, daß dieses Denken, als Bestandteil des postmodernistischen Gesamtstromes, nicht eine Erlebnisdimension gegenwärtiger Vergesellschaftung, ihrer Probleme und Paradoxien darstellen würde. In einem unmittelbaren Sinne könnten seine Denkmuster als deren „Widerspiegelung“ verstanden werden, als Reaktion auf verzehrende Wirklichkeitsansprüche, dem dieses Denken aber keine Abwehrhaltung entgegenzusetzen in der Lage ist. Es bleibt seinem Selbstverständnis nach „neutral“, unterliegt aber gerade deshalb den Imperativen des real existierenden Machtsystems. Durch die Illusion, sich aus allem heraushalten zu können, unterwirft sich dieses Denken nur blind der ideologischen Reproduktionsdynamik. Es schließt sich in einer von der realen Welt abgetrennten Innerlichkeit ein, die den äußeren Einflüssen nur um so intensiver ausgeliefert ist. „Die kapitalistische Kultur isoliert uns von der Welt und den anderen menschliche Wesen. Wir werden in eine innere Enklave gezwungen. Sodann wird aus der Not eine Tugend gemacht, indem wir den Rat erhalten, unsere Isolierung als eine einzige kulturelle Errungenschaft zu rühmen.“[55]

Als eindimensionales Abbild herrschender Sprach- und Orientierungslosigkeit erweisen sich Dekonstruktivismus und „Postmoderne“ als Äußerungsform eines affirmativen Krisenbewußtseins; sie sind „an die Verfallsphase und –perspektive der bürgerlichen Gesellschaft gebunden, als deren falsches Bewußtsein zum ‚Zeitgeist’ des Krisenmythos hypostasiert.“[56] In dem der Postmodernismus Symptome der Krise thematisiert, erweckt er zwar den Eindruck einer kritischen Haltung – jedoch aufgrund der angedeuteten Denkvoraussetzungen schlägt diese in angepaßte Hilflosigkeit um: Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden als unveränderbare ratifiziert. Ein solcher, seine Motivation und seine objektive Funktion im ideologischen Koordinatensystem berücksichtigender Umgang mit dem Postmodernismus setzt eine argumentative Präzision voraus, der Müller/Weingarten sich verweigern. Es läßt sich produktiv „wenn nicht ... [von einem] Epochenbewusstsein, so doch ... [von einer] Art Epochengefühl“ sprechen[57], daß aber theoretisch korrekt nur als „Erlebnisform“, als Reaktion auf unverarbeitete Bedrängungs- und Widerspruchserfahrungen begriffen werden kann. Es ist eine Philosophie, die sich der entfetischisierenden Beschäftigung mit den Sozialverhältnissen entzieht und dabei der Illusion unterliegt, eine absolute Freiheit realisieren zu können, indem die Verbindungslinien der eigenen intellektuellen Aktivität zu etwas Objektivem, aber auch zu einem Diskurs-Zusammenhang durchtrennt werden: Egozentrik und theoretische Asozialität reichen sich die Hand.

Das im Netzwerk dekonstruktivistischer Selbstbezüglichkeit verfangene Bewußtsein muß auf dieser Grundlage die Welt so akzeptieren wie sie ist, denn durch den Verzicht auf objektivierendes Denken bei gleichzeitiger Zerstörung vernunftorientierter Maßstäbe existiert keine intellektuelle Widerstandslinie gegenüber den imperialistischen Destruktionstendenzen und einer zivilisatorischen Selbstzerstörungsdynamik.[58] Ein Denken jedoch, das nicht dem impliziten Irrationalismus der hegemonialen Weltbildkonstrukte, ihrer „Logik der Unterwerfung“ (Th. Metscher), unterliegen will, kann sich mit Gesten des Unbehagens nicht begnügen, sondern muß eine begründete Oppositionshaltung einnehmen. Mit der prinzipiellen Infragestellung der Möglichkeit, sich in der Welt überhaupt noch verlässlich orientieren zu können, wird jedoch jeder radikale Kritikanspruch (und damit die Distanzierungsfähigkeit!) schon im Keim erstickt.

Der Verzicht auf objektivierende Erkenntnis wirkt herrschaftskonform innerhalb eines ideologischen Systems, das keinen Wert auf positive Festlegungen mehr legt, weil diese sowieso nicht durchgesetzt werden können. Die kultur-bürokratischen Apparate geben sich mit der Hypostasierung der Wert- und Orientierungslosigkeit und der Versicherung zufrieden, daß Niemand sicheres weis und überhaupt wissen könne, zumal sie sicher sein können, daß von einer solchen weltanschaulichen Grundlage aus bestehende Vergesellschaftungsstrukturen sinnvoll überhaupt nicht mehr in Frage gestellt werden können. Das Diskurswissen „gleitet“ in den Zustand der Herrschaftskompatibilität über, wenn die elementaren Fragen der gesellschaftlichen Widerspruchsentwicklung so transformiert wurden, daß die ihr zugrunde liegenden Ursachen unscharf und verwechselbar werden.

Mit der relativistischen Haltung wird nicht nur darauf verzichtet, dem „lebensweltlichen“ Irrationalismus, der aus der kapitalistischen Gesellschaftspraxis resultiert, etwas entgegen zu setzen, sondern auch einem philosophischen Irrationalismus das Feld bereitet: Entfetischisierende Wissensformen werden in Frage gestellt und für die „Enthistorisierung“ der zugespitzten Probleme der kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung die theoretischen Voraussetzungen geschaffen: Die gesellschaftlich erzeugte Unvernunft wird zu einem prinzipiellen Bankrott der Vernunft stilisiert und die Instrumentalisierung der Rationalität zum Anlaß genommen werden, ein Geltungsrecht des Irrationalen (einschließlich des Wahnsinns) einzufordern. Parallel zur „Dekonstruktion“ kritischer Reflexionsmuster[59] wird der Hinwendung zu gegenrationalen „Alternativen“ propagiert: Die Reduzierung des Erkenntnisvermögens soll durch die Auslieferung des Diskurses an psychische Erfahrungsdimensionen, die dem Logos entzogen sind, komplettiert werden: Die wünschenswerte Kehrseite postmodernistischer „Verachtung ... jeglicher Totalisierung, jeglicher Synthese ... [sei] die Hinwendung zum Paradoxen, Paralogischen, zur Parabasis, Parakritik, zur Offenheit des Zerbrochenen, zu unerklärten Randzonen.“[60]

VIII. Gegenüber dem Versuch von Müller/Weingarten, den Lukács der „Theorie des Romans“ in eine marxistische Traditionslinie zu stellen, sei nur der Vollständigkeit daran erinnert, daß dieser lebensphilosophisch inspirierte Text entstanden ist, bevor Lukács seinen „Weg zu Marx“ gegangen ist. Er hat den „Klassenverrat“ (Lukács) gerade deshalb vollzogen, weil die Ästhetisierung des Leidens an einer menschenverzehrenden Gesellschaftsform und die Flucht in „die Sphäre einer reinen Seelenwirklichkeit“, die dem Menschen als „Gesellschaftswesen“ gegenüber gestellt wird[61], sich als intellektuelle Sackgasse erwiesen hat. Bleibt auch die Intention beim Marxisten Lukács die gleiche, so sind doch die methodischen Mittel und die inhaltlichen Positionierungen radikal andere. Die Behauptung einer „Kontinuität und Bruchlosigkeit der theoretischen Entwicklung Lukács´“ (S. 142) seit seinen idealistischen Anfängen findet keine Entsprechung in der seriösen Lukács-Forschung. Indem der „vormarxistische“ (irrationalistisch-lebensphilosophisch orientierte Denker) Lukács als „Marxist“ präsentiert wird, funktioniert die Behauptung eines untergründigen Beziehungsverhältnisses zwischen Dekonstruktivismus und Marxismus. Aber die manipulativ erzeugte „Folgerichtigkeit“ dieser Argumentation suspendiert nicht ihre Absurdität.

[1] J. Müller/M. Weingarten, Das dekonstruktive Gespenst der Dialektik. Zum systematischen Verhältnis von Dialogizität und Widerspieglung, in: Z 62, Juni 2005 (Seitenangaben im Text).

[2] Das macht übrigens auch der Dekonstruktivismus – aber ausschließlich zu dem Zweck, um seine Vorstellung der irreversiblen Relativität des „Wissen“ zu begründen. Im konkret historischen Prozeß können wir jedoch beobachten, daß durch die gesellschaftlichen Praxiskonstellationen Erkenntnisprozesse erschwert, aber auch vorangetrieben werden können. Die Beschäftigung mit solchen Aspekten macht den rationalen Kern einer Theorie der Wissensformen aus.

[3] Vgl. W. Seppmann, Das Ende der Gesellschaftskritik? Die „Postmoderne“ als Realität und Ideologie, Köln 2000.

[4] Welche es sind oder sein könnten, wird an keiner Stelle des Textfragments gesagt.

[5] Es sei an die Selbstbewußtwerdung des Geistes als das Grundmotiv der Hegelschen „Phänomenologie“ erinnert. Dieser Systementwurf schließt eine „Abschluß“-Obsession ein: In der Philosophie (der Hegelschen natürlich) gelangt der absolute Geist zu seinen Selbstbewußtsein.

[6] G. Bennington, Derridabase, in: G. Bennington/J. Derrida, Jacques Derrida. Ein Portrait, Frankfurt/M. 200, S. 11.

[7] P. Bürger, Ursprung des postmodernen Denkens, Weilerswist 2000, S. 75.

[8] Ebd.

[9] Eine auch nur skizzenhafte Beschäftigung mit der Widerspiegelungsproblematik würde den vorliegen Rahmen sprengen. Vgl. aktuell: H. H. Holz, Weltentwurf und Reflexion. Versuch einer Grundlegung der Dialektik, Stuttgart und Weimar 2005.

[10] J. Derrida, Marx & Sons, Frankfurt/M. 2004, S. 29.

[11] J. Derrida, Marx´ Gespenster; Frankfurt/M. 1995, S. 56.

[12] G. Bennington, in: G. Bennington/J. Derrida, a.a.O, S. 41.

[13] J. Derrida, Marx & Sons, a.a.O., S. 18.

[14] G. Bennington, in: G. Bennington/J. Derrida, a.a.O, S. 15.

[15] Der systematisch-manipulative Umgang mit Texten und Referenzpositionen, sowie ihre Zurichtung für die eigenen Argumentationsbedürfnisse ist für alle postmodernistischen „Schulen“ konstitutiv. Eindrucksvoll (und den Kern ihrer Selbstpräsentationen erschütternd) hat das Jan Rehmann für Deleuze und Foucault nachgewiesen: J. Rehmann, Postmoderner Links-Nietzscheanismus, Hamburg 2004.

[16] H. Kimmerle, Derrida zur Einführung, Hamburg 31992, S. 28.

[17] J. Derrida, Marx & Sons, a.a.O., S. 29.

[18] J. Derrida, Marx´Gespenster a.a.O., S. 143.

[19] Ebd., S. 144.

[20] Vgl.: W. Seppmann, Abschied von der Dialektik?, In: H. H. Holz/W. Gerns/H. Kopp/Th. Metscher/W: Seppmann (Hg.), Philosophie und Politik. Festschrift für Robert Steigerwald, Essen 2005.

[21] J. Derrida, Marx´Gespenster, a.a.O., S. 93.

[22] Ebd., S. 94 f.

[23] Ebd., S. 95.

[24] Auf diese Aussage angesprochen, verneint er, damit die Klassenproblematik in Frage gestellt zu haben (vgl.: Marx & Sons, a.a.O., S. 29). Sein Anliegen sei es vielmehr gewesen, auf problematische Aspekte, auf „Komplikationen“ des theoretischen Konzepts aufmerksam zu machen, etwa, daß Klassen als „homogen, gegenwärtig und mit sich selbst identisch“ (Marx´ Gespenster, a.a.O., S. 95) begriffen werden. Aber ist es noch nötig zu betonen, daß es sich auch hier um eine Schein-Problematisierung handelt, weil der Klassenbegriff im Marxismus ein relationaler und empirischer ist, der solche Fixierungen konterkariert? Aber sie wird nicht ohne Grund vorgenommen. Aufgabe der Pseudo-Argumentation ist es, seine grundsätzliche Infragestellung der Klassenkategorie zu verbergen: “Natürlich bin ich mir dessen bewußt, das diese ‚Komplikation’ in meinen Auge sehr weit reicht. Sie kann sich ausdehnen bis zu [ab jetzt zitiert Derrida sich selbst] ‚einem Misstrauen gegenüber der einfachen Entgegensetzung von Herrschenden und Beherrschten und sogar gegenüber der Annahme, dass die Kraft stets stärker ist als die Schwäche’“. (Marx & Sons, a.a.O., S. 59f.) Ohne noch weiter ins Detail gehen zu können, sei darauf hingewiesen, daß in diesem Satz, unabhängig von seinen inhaltlichen Implikationen, zwei einschlägige Beispiele aus der rhetorischen Trickkiste Derridas zu finden sind: A) Die Simplifizierung der Gegenposition (hier durch die Behauptung einer „einfachen Entgegensetzung“) und B) der assoziative Hinweis, daß auch das Schwache stark sein kann – was prinzipiell niemand in Frage gestellt hat und diese Möglichkeit auch nichts mit der gesellschaftswissenschaftlichen Frage nach dem Klassenantagonismus zu tun hat. Aber diese systematischen „Unschärfen“ ermöglichen es, bei erneuter Problematisierung der Aussagen und ihrer Absichten, das Argumentations-Karussel erneut in Betrieb zu setzen.

[25] Jan-Paul Sartre antwortet, in: G. Schiwy, Der französische Strukturalismus, Reinbek 1969, S. 210.

[26] T. Eagleton, Die Illusionen der Postmoderne, Stuttgart und Weimar 1997, S. 36.

[27] Die Vortäuschung falscher Tatsachen hat bei Derrida eine lange Tradition. Immer wieder einmal hat er behauptet, daß kein Element seines Denkens im Widerspruch zum Marxismus stünde. (Vgl. J. Derrida, Positionen, Wien 1986)

[28] J. Derrida, Marx´Gespenster, a.a.O., S. 32ff.

[29] Ebd., S. 134.

[30] Ebd., S. 137.

[31] Vgl. W. Seppmann, Die „Neue Weltordnung“ des Kapitals, in: UTOPIE kreativ, H. 129/130, Juli/August 2001.

[32] J. Derrida, Marx´Gespenster, a.a.O., Ebd., S. 134.

[33] Ebd.

[34] Vgl. W. Seppmann, Zur „Logik“ irrationalistischer Weltbilder, in: Marxistische Blätter, H. 5/2005.

[35] J. Derrida, Marx´Gespenster a.a.O., S. 134. Keine wie auch immer geartete kritische Beschäftigung mit ihnen dürfte jedoch übersehen, daß diese Phänomene „alles andere als ein Überbleibsel ... [sind], sondern vielmehr durch das moderne Weltsystem geschaffen“ wurden. (I. Wallerstein, Utopistik. Historische Alternativen des 21. Jahrhunderts, Wien 2002, S. 64)

[36] J. Habermas, Die Moderne – ein unvollendetes Projekt, Frankfurt/M. 1992, S. 52; vgl. auch: J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt/M. 1985.

[37] J. Derrida, Wie Meeresrauschen auf dem Grund einer Muschel. Paul de Mans Krieg. Mémoires 2, Wien 1988, S. 104.

[38] Ebd.

[39] Ebd., S. 105.

[40] An unzähligen Stellen dient der Verweis auf die nicht mehr „gegenwärtig Lebenden“ dazu, den Eindruck einer unaufhebbaren Herrschaft der Vergangenheit über die Gegenwart und jede Zukunft zu erwecken. Vgl. etwa die Textpassage in: J. Derrida, Marx’ Gespenster, a.a.O., S. 11; vgl. auch: W. Seppmann, Kultur der Anpassung, in: Marxistische Blätter, H. 2/2004.

[41] Philosophisches Schreiben wird zum Vorgang der Abgeltung eines existenziellen Sündigseins und als fortschreitender Prozeß schuldhafter Verstrickungen stilisiert. „‘Man bittet stets um Vergebung, wenn man schreibt’ [dieser Satz ist ein Selbstzitat], um so die Frage in der Schwebe zu lassen, ob man um Vergebung für ein zurückliegendes Verbrechen, eine Lästerung, einen Meineid, oder ob man nicht vielmehr um Vergebung für das Schreiben selbst bittet, Vergebung für das Verbrechen, die Lästerung, den Meineid, die jetzt und hier im Akt des Schreibens, in jenem Simulakrum eines Eingeständnisses bestehen“. (J. Derrida, Zirkumfession, in: G. Bennington/J. Derrida, a.a.O., S. 56)

[42] M. Heidegger, Über den Humanismus, in: ders., Platons Lehre von der Wahrheit, Bern und München 1975, S. 82.

[43] G. Derrida, Grammatologie, Frankfurt/M 1984, S. 116.

[44] G. Derrida, Die Schrift und die Differenz, Franfurt/M. 1975, S. 93.

[45] G. Bennington, in: G. Bennington/J. Derrida, a.a.O., S. 48.

[46] Ebd., S. 71f.

[47] F. Dosse, Geschichte des Strukturalismus, Bd. 2, Hamburg 21998, S. 50.

[48] Th. Metscher, Postmoderne und imperialistische Gesellschaft, in: Z 62, Juni 2005, S. 132.

[49] J. Derrida, Randgänge der Philosophie, Wien 1988, S. 301.

[50] J. Derrida, Die Schrift und die Differenz, a.a.O., S. 44f.

[51] Ebd., S. 44.

[52] Vgl. W. Seppmann, Entwicklungsstufen einer dialektischen Gesellschaftstheorie, in: L. Kofler, Geschichte und Dialektik, Essen 42004, S. 211ff.

[53] Vgl.: G. Lukács, Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins, Bd. I, Darmstadt und Neuwied 1984.

[54] Marx-Engels-Werke, Ergänzungsband I, S. 516.

[55] R. Lichtmann, Die Produktion des Unbewußten. Die Integration der Psychoanalyse in die marxistische Theorie, Hamburg und Berlin 1990, S. 91.

[56] A. Gedö, Philosophie und „Nicht-Philosophie“ nach Hegel. Studien zum Streitfall Dialektik, Essen 2002; vgl. auch: A. Gedö/E. Hahn/H. H. Holz u.a., Gescheiterte Moderne? Zur Ideologiekritik des Postmodernismus, Essen 2002.

[57] P. Bürger, a.a.O., S. 8.

[58] Vgl.: Th. Metscher, Moderne, Postmoderne und Marxismus, in: ders. Herausforderung dieser Zeit. Zur Philosophie und Literatur der Gegenwart, Düsseldorf 1989.

[59] Dieser Irrationalismus erfüllt seine macht-legitimatorische Aufgabe dadurch, daß er „das bloße Problem zur Antwort ... [und] die vorgebliche prinzipielle Unlösbarkeit des Problems als höhere Form des Weltbegreifens“ erklärt. (G. Lukács, Die Zerstörung der Vernunft, Berlin und Weimar 1984, S. 83)

[60] I. Hassan, Postmoderne heute, in: W. Welsch (Hg.), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Berlin 21994, S. 49.

[61] G. Lukács, Die Theorie des Romans, Darmstadt und Neuwied 1971, S. 136.