Berichte

Kommunismus, Kunst und Wissenschaft

Brecht-Konferenz, Berlin, 14./15.10.2006

Dezember 2006

„Er ist das einfache, das schwer zu machen ist – Brecht und der Kommunismus“, so der Titel einer zweitägigen internationalen Konferenz, die anlässlich des fünfzigsten Todestages Brechts getragen von der Tageszeitung „junge Welt“, dem Antieiszeitkomitee, dem kulturpolitischen Forum der DKP und der Marx-Engels-Stiftung im Theater in Karlshorst über die Bühne ging. Es war die Idee des Regisseurs und Brecht-Schülers Manfred Wekwerth, die Konferenz zu einer Begegnung von Wissenschaft und Kunst zu machen. Tatsächlich waren Wekwerths Einladung nicht nur namhafte Wissenschaftler gefolgt, sondern auch Künstler wie der kubanische Filmregisseur Julio Garcia Espinosa und der Theaterregisseur Alejandro Quintana. In seinem Redebeitrag schilderte Espinosa, der seinerzeit in Rom in der Tradition des italienischen Neorealismus ausgebildet wurde, als einer der bedeutendsten Vertreter des neuen lateinamerikanischen Kinos gilt und heute die Filmakademie in Havanna leitet, die Rolle, die die Brechtrezeption seit den sechziger Jahren für den lateinamerikanischen und speziell kubanischen Film gespielt hat. Der Film, so Espinosa, sei trotz aller technischen Innovationen eine noch unterentwickelte Kunst. Für die Entfaltung seiner Potentiale könne Brecht auch heute nützlich sein.

Während der gesamten Tagung wurden von den Schauspielern Peter Sodann und Peter Bause Brecht-Gedichte und Brecht-Geschichten von Manfred Wekwerth vorgetragen. Eigens für die Konferenz hatte die Brecht-Tochter Hanne Hiob „Das Lob des Kommunismus“ auf Video gesprochen. Auch Volker Braun, der leider verhindert war, ließ sich vertreten und ein Gedicht verlesen. Höhepunkte des Kulturprogramms freilich waren die Aufführung des „Kommunistischen Manifests“ in der versifizierten Form Brechts, das in einer von dem Komponisten Syman und dem Schlagzeuger Torsten Adrian erarbeiteten Vertonung unter der künstlerischen Leitung Manfred Wekwerths von Renate Richter und Hendrik Duryn gesprochen wurde, und das Abschlusskonzert, bei dem die Band EMMA gemeinsam mit Duryn und Richter bewies, dass Brecht und Rock nicht nur zusammenpassen, sondern in der Kombination geeignet sind, mit das beste Brecht-Programm zu sein, dass es in den letzten Jahren gegeben hat.

Die Konferenz, die einen Gegenpol zur derzeit modischen Brecht-Neutralisierung und -Entpolitisierung bilden sollte, war hochkarätig besetzt. In seinem Beitrag analysierte der Literaturwissenschaftler Thomas Metscher „die hohe Kunst des Einfachen“ im Werk und im politischen Denken Brechts. Insbesondere in Brechts Stück „Die Mutter“ könnten zwei Dimensionen des Einfachen voneinander geschieden werden: zum einen das Einfache als Elementares, wie es in „Lob des Lernens“ erscheint, und dann als jenes „Einfache, das schwer zu machen“ ist, im Lob des Kommunismus. Hier sei es ein „Einfaches von hoher Komplexität“. Bei Brecht insgesamt fungiere es als „ästhetische Grundkategorie“ (Vorabdruck in „junge Welt“ vom 14.-16. Oktober 2006). Auch Manfred Wekwerth verwies in seinem darauffolgenden Vortrag auf die Bedeutung der „Naivität“ bei Brecht. Darunter freilich sei nicht Simplizität oder Komplexitätsverweigerung zu verstehen, sondern vielmehr jenes „Aufsteigen zum Konkreten“, von dem schon Hegel spricht. Insbesondere in den letzten Gesprächen mit Brecht – bei der Arbeit an „Die Tage der Commune“ – sei Brecht immer wieder auf diese Kategorie zurückgekommen und habe empfohlen, von seinem Theater als einem „philosophischen Volkstheater“ zu sprechen.

Zu einer Kontroverse auf dem Podium über ein zeitgemäßes Verständnis von Kommunismus kam es zwischen den Philosophen Hans Heinz Holz und Wolfgang Fritz Haug. Während Haug Brecht als den bedeutendsten deutschen marxistischen Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnete, der – neben Gramsci – wichtige Impulse für eine Neugründung des Marxismus gebe, wenn man zugleich begreife, dass die Organsationsformen, auf die Brecht sich stützte, historisch geworden seien, forderte Holz zum einen die Identität des Marxismus von Marx bis in die Gegenwart ein und bestimmte den Gehalt des Kommunismus im wesentlichen über das Organisationsverständnis der dritten Internationale (vgl. seinen in der „UZ“ vom 20.10.2006 abgedruckten Text). Einig freilich waren sich Haug und Holz in der Bedeutung, die der Kommunismus für Brecht hatte. Gegen die Behauptung Reich-Ranickis gewandt, Brecht habe sich nur für den Kommunismus interessiert, weil er ihm Impulse fürs Theater zu geben schien, betonte Haug, dass Brecht dem Kommunismus die „Freilegung seiner intellektuellen Produktivität“ verdanke. Auch Holz stellte sich gegen die beliebte Trennung des Dichters vom Marxisten, wobei er, ausgehend von der Baummetaphorik Brechts, das Politische auch im scheinbar bloß Poetischen nachzeichnete. In der Diskussion ging es nicht zuletzt auch darum, ob man die von Brecht in „finsteren Zeiten“ konstatierte Unmöglichkeit des Freundlichseins („An die Nachgeborenen“) streng historisieren müsse, oder ob man daraus ein allgemeines Prinzip politischer Aktion im Kampf um eine neue Gesellschaft ableiten könne.

Dieser Punkt stand auch im Zentrum des Beitrags von Ernst Schumacher. In „Die Tage der Kommune“ [sic!] formuliert der Deputierte Langevin die Alternative: „In diesem Kampf gibt es nur blutbefleckte oder abgehauene Hände.“ Schumacher nahm diese Formulierung zum Ausgangspunkt eines „alternativen Vordenkens beim Nachdenken über Bertolt Brecht im Zeitalter des globalisierten Kapitalismus“. Habe das zwanzigste Jahrhundert tatsächlich in dieser Alternative gestanden, wie nicht zuletzt auch noch beim Putsch gegen Salvador Allende in Chile deutlich geworden sei, so müsse eine auf die heutige Situation bezogene politische Strategie erst noch gefunden werden, nicht zuletzt auch deswegen, weil die Arbeiterklasse nicht mehr als selbstverständliches historisches Subjekt angenommen werden könne. Insbesondere sei es notwendig, die Geschichte des Kommunismus im zwanzigsten Jahrhundert auf die Gründe seines Scheiterns zu befragen. So müsse man durchaus auch fragen, ob nicht vielleicht Bernstein recht behalten habe. In Organisationen wie Attac freilich sieht Schumacher Kräfte, die möglicherweise in der Lage sein könnten, politisches Subjekt einer weitergehenden gesellschaftlichen Transformation zu werden. Nicht zuletzt ginge es heute auch darum, möglichst zu verhindern, dass erneut eine Situation entsteht, in der sich die Alternative von „blutbefleckten“ oder „abgehauenen“ Händen stellt: „Ohne Dialektik wird es nicht gehen.“

Jost Hermand berichtete, wie es gelang, während der Studentenbewegung der sechziger Jahre Brecht in den USA zu etablieren. Dabei äußerte er sich auch zum gegenwärtigen Zustand der „International Brecht Society“ (IBS), die er einst gemeinsam mit Reinhold Grimm und dem „unseligen John Fuegi“ gegründet hatte. Für den Jahreskongress der IBS in Augsburg sei das Thema „Brecht und der Tod“ gewählt worden. Über Politik habe man kaum diskutiert. Auch sein eigener Vortrag über die „Haltung Brechts zur Todesbereitschaft im Kampf um den Sozialismus“ sei ohne Kontroverse hingenommen worden.

Arnold Schölzel arbeitete in seinem Beitrag die programmatische Bedeutung des Hegel-Satzes „Die Wahrheit ist konkret“ für Brecht heraus. Falsche Abstraktion bestehe nach Hegel in der Reduktion eines Ganzes auf einen seiner Aspekte: „Abstraktion ist das Schlechte, das einfach gemacht wird.“ Im Gegensatz hierzu stünde Brechts Konzept von Dialektik als eines „Aufsteigens zum Konkreten“. Der Theologe Heinrich Fink untersuchte das Verhältnis Brechts zur Bibel. Klaus Höpke stellte ein Projekt vor, in dem Bundestagsabgeordnete und Künstler gemeinsam Brecht-Texte rezitieren und erinnerte an die lange Geschichte der Brecht-Verfemung im Bundestag der BRD. Um konkrete Projektarbeit ging es auch im Beitrag von Thomas Schmitz-Bender, dem „Hausregisseur des Arbeiterbunds zum Wiederaufbau der KPD“ („Süddeutsche Zeitung“). Schmitz Bender ist es im wesentlichen, dem das Zustandekommen großer Brecht-Aktionen wie der „Anachronistische Zug“, „Die Legende vom Toten Soldaten“ oder jüngst „Die Himmlischen Vier“ zu verdanken ist.

Werner Seppmann stellte das realistische Konzept des epischen Theaters „so genannten Avantgarden“ gegenüber. Im Gegenwartstheater gebe es durchaus die Tendenz, die „quälende Beziehungslosigkeit“, die Ausdruck von Entfremdung sei, zu thematisieren. Indem es diese Verhältnisse jedoch unvermittelt auf der Bühne reproduziere, werde die Darstellung affirmativ: „Der entfremdeten Welt nur das Bild der Entfremdung entgegenzusetzen, hat keinen Aufklärungseffekt.“ In diesem Sinne sieht Seppmann in Beckett den eigentlichen Antipoden Brechts.

Yalcin Baykul, Übersetzer Brechts ins Türkische, schilderte die Schwierigkeiten, die Brechttheater in den fünfziger und sechziger Jahren in der Türkei hatte. Zwar habe es viele Laieninszenierungen gegeben, erst 1963 jedoch die erste Profitheater-Inszenierung. Den Durchbruch brachte 1962 ein Gastspiel der Neuen Bühne aus Frankfurt am Main mit „Die Ausnahme und die Regel“. Baykul berichtete auch von den Brechttagen, die jüngst im Goethe-Institut in Istanbul organisiert worden waren. Unter anderem waren hierzu auch Manfred Wekwerth und Renate Richter eingeladen worden.

Um Brecht als einen „unabhängigen kommunistischen Intellektuellen“ ging es im Vortrag Sabine Kebirs. Die Literaturwissenschaftlerin, die kürzlich ihre Biographie über Ruth Berlau veröffentlicht hat, sieht in Brecht den „bedeutendsten Denker der deutschen Aufklärung im zwanzigsten Jahrhundert“. Auffallend sei in diesem Kontext, dass Brecht die Aufgabe des engagierten Intellektuellen nicht von seiner intellektuellen Praxis gelöst habe, sondern das politische Engagement als Teil seiner spezifischen künstlerischen Tätigkeit verstand. Bei aller Nähe zur Arbeiterbewegung und ihren Institutionen habe er stets ein Höchstmaß von Unabhängigkeit bewahrt: Eine Unabhängigkeit freilich, die ihn nie in einen Gegensatz zur Emanzipationsbewegung gebracht habe. In ähnlicher Weise argumentierte auch Dieter Dehm. In Brechts Konzept des „dialektischen Realismus“ sieht Dehm auch eine heute wegweisende Ästhetik. Damit wandte sich Dehm gegen die These einer „geradlinigen Ableitbarkeit des sozialistischen Realismus“ aus der Zugehörigkeit zu einer Partei. Zugleich verteidigte Dehm die Notwendigkeit politischer (wenn auch nicht einfach parteipolitischer) Verantwortung realistischer Kunst.

Insgesamt brachte die Brecht-Konferenz viele Anregungen. Der Kampf gegen die Entpolitisierung Brechts hat begonnen. Nun wird es darum gehen, ihn fortzusetzen. Die Tagung wird als Sonderheft der „Marxistischen Blätter“ dokumentiert.