Kritik der neoliberalen Bildungspolitik

Bildungsreform als Herrschaftsinstrument

Juni 2008

Kaum irgendwo wird derzeit soviel ‚Reform‘-Kraft entfaltet wie im deutschen Bildungssystem. An vielen Stellen wird reformiert, um- und neugestaltet. Die in großen Teilen hiergegen kontext-argumentativ wehrlose Linke sieht sich mit scheinbar zusammenhanglosen Versatzstücken technokratischer Modernisierung konfrontiert, die sie mit dem Ruf „Bildung ist keine Ware!“ oder mit der Forderung, mehr Arbeiterkinder sollten an die Hochschulen gelangen können, zu parieren versucht. Dabei bilden diese ‚Reformen‘ sehr wohl ein einheitliches Bild, wenn man sie aus materialistischer Perspektive betrachtet. Die linke Kritik verharrt überall dort, wo sie diese Perspektive negiert, gar zu oft in einer affirmativen Position, die nur das Bestehende verteidigt oder schützt.

Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die Zusammenhänge zu verdeutlichen und einer neuen und weitergehenden Kritik den Boden zu bereiten. Hierzu wird zunächst der Bereich der höheren Bildung betrachtet und dann im Rahmen einer Gesamtperspektive auch der Primar- und Sekundarbereich.[1]

Die technokratische Hochschul(struktur)reform

Dominantes Zielmodell der gegenwärtigen Hochschulstrukturreform, das mit Stichworten wie Studiengebühren, Umstellung auf zweistufige Studiengänge (Bachelor und Master), Globalhaushalt, leistungsorientierte Mittelvergabe, Exzellenz-Initiative, Elite-Universitäten, Internationalisierung, Modularisierung, Stärkung der Leitungsorgane und leistungsorientierte Bezahlung für Wissenschaftlerinnen grob umrissen ist, ist die Vorstellung der Hochschule als marktgesteuertes Dienstleistungsunternehmen, das im Wesentlichen auf drei Eckpunkten beruht.

Implementation marktförmiger Wettbewerbsmechanismen

Die Hochschulstrukturrefom zielt erstens auf die Durchsetzung marktförmiger Wettbewerbsmechanismen als neuen Steuerungsinstrumenten (zu deren Wirkungen und Kritik vgl. Hoffacker 2003) innerhalb der Hochschulen sowie auch im Verhältnis zwischen diesen und dem Staat ab.

Zielvorstellung dieser Umstrukturierungs- und Implementationsmaßnahmen, wie sie unter anderem das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) (vgl. Bennhold 2002) entwirft, ist dabei stets „das Dienstleistungsunternehmen Hochschule, das sich in Konkurrenz mit anderen Anbietern auf einem Wissensmarkt zu behaupten hat, indem es dort die von ihm angebotenen Produkte und Dienstleistungen – Ausbildung von Studierenden und wissenschaftlichem Nachwuchs sowie Erzeugung verwertbarer Forschungsergebnisse – an kaufkräftige Nachfragerinnen und Nachfrager, […] absetzt“ (Keller 2005a: 5).

Dies verdeutlicht sich, wenn man sich die üblichen Schritte der Implementation dieser Mechanismen ansieht:

1. Die Lehr- und Forschungsleistungen werden evaluiert und somit vergleichbar gemacht. Dies gilt „unabhängig davon, ob die gewonnenen Daten tatsächlich zutreffende Informationen über die Qualität der Hochschulleistungen vermitteln“ (ebd.).

2. Erfolgs- respektive leistungsorientierte Mittelvergabe sorgt für einen Ansporn, systemkonforme Leistungssteigerungen zu erreichen, indem Erfolge und Misserfolge in finanzielle Anreize oder Sanktionen umgemünzt werden. So werden Hochschulen untereinander, aber auch hochschulinterne Untergliederungen (Fakultäten, Lehrstühle) in ein direktes Konkurrenzverhältnis um Ressourcen gesetzt.

3. Mittels Studiengebühren werden Studierende zu zahlenden Kundinnen und Kunden ihrer Hochschulen transformiert. Auch hier wird erwartet, dass die „Hochschulen bzw. deren Untergliederungen um die Kaufkraft der studentischen Kundinnen und Kunden konkurrieren“ (ebd.: 6). Zudem sollen Studierende auch dadurch zur Einführung marktförmiger Wettbewerbsmechanismen beitragen, dass sie selbst die künftige ‚Rendite‘ ihrer Bildungsinvestitionen schärfer kalkulieren.

Umstrukturierung der inneren Verfassung der Hochschulen

Als Pendant zur Stärkung dieser Art ‚Finanzautonomie‘ der Hochschulen findet zeitgleich eine „Umstrukturierung der inneren Verfassung der Hochschulen nach dem Vorbild einer Unternehmensverfassung“ (ebd.) statt.

Die Neubestimmung der inneren Organisation der Hochschulen orientiert sich dabei an jener der Unternehmensorgane Vorstand und Aufsichtsrat in einer Kapitalgesellschaft. Insofern geht es mittelfristig nicht etwa nur um eine institutionelle Ausdifferenzierung von Grundsatzentscheidungen und Kontrollfunktionen, sondern um „eine Reduktion von Senat und Fachbereichsrat auf bloße Aufsichts- und Beratungsfunktionen“ (ebd.) zugunsten einer Übertragung aller Entscheidungsbefugnisse an die hochschulischen Leitungsorgane – eine Maßnahme, die sich nicht nur gegen die Mitbestimmung an den Hochschulen, „sondern gegen die im Status der Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts verankerte Selbstverwaltung selbst“ (ebd.: 7) richtet und in der Folge auch eine Entmachtung der bisher privilegierten Gruppe der Professorinnen und Professoren „zugunsten eines verselbstständigten Hochschulmanagements“ (ebd.) bedeutet.

Gesellschaftliche Legitimation durch Dritte

Perspektivisch soll dabei ein aus Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bestehender Hochschulrat die Funktion des Aufsichtsrates des Unternehmens Hochschule übernehmen. Eine erste Studie der Universität Duisburg-Essen zur tatsächlichen Rekrutierung solcher Gremien liefert jedoch ein anderes Bild: Tatsächlich erobern vor allem Manager und also Technokraten derzeit die „Kontrolle an den Unis“ (Gillmann 2007) für sich, und es ist bereits abzusehen, „dass die Abhängigkeit einer Universität von ihren [nicht-staatlichen] Finanzierungsquellen einen deutlichen Einfluss darauf hat, wie ihr Hochschulrat zusammengesetzt ist“ (Uni Duisburg-Essen 2007).

Üblicherweise machen die privaten Träger mittels dieser von US-amerikanischen Privathochschulen bekannten Räte ihren Anspruch auf Kontrolle und Steuerung der von ihnen finanzierten Einrichtung geltend. „Ein von Dritten bestelltes Aufsichtsorgan passt jedoch nicht zu einem staatlichen Hochschulsystem, in welchem eben nicht Private, sondern der demokratisch legitimierte Staat Hochschulträger und -financier ist. Der Einrichtung von Hochschulräten liegt letztlich ein hochschulverfassungsrechtlicher Paradigmenwechsel zugrunde, der die zentrale Legitimationsinstanz für die Hochschulentwicklung weder beim Staat noch bei der hochschulischen Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, sondern bei Dritten ansiedelt. Dem öffentlichen Eigentum an den Hochschulen wird dieser Paradigmenwechsel nicht gerecht, da er letztlich auf eine institutionelle Privatisierung des Hochschulwesens“ (Keller 2005a: 6) hinausläuft.

‚Wissenschaftsfreiheit‘ und ‚Hochschulautonomie‘

In diesem Kontext hat sich auch das Verständnis der hochschulischen Autonomie diametral gewandelt: „Während [diese] […] ursprünglich im Sinne eines institutionellen Pendants zum individuellen Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit als konsequente Weiterentwicklung der akademischen Selbstverwaltung verstanden wurde, erscheint die Forderung nach Globalhaushalt und Finanzautonomie im 21. Jahrhundert [nur noch] als Konsequenz der geforderten Marktpositionierung des Unternehmens Hochschule“ (Keller 2005b: 251).

Während Hochschulautonomie also einst die Forderung bezeichnete, der Staat möge die Hochschulen zwar aushalten und ihren Betrieb gewährleisten, sich aus ihrer inneren Organisation jedoch heraushalten und diese einer demokratischen Selbstbestimmung der in ihr agierenden Statusgruppen überlassen, bedeutet diese heute vor allem die Aufgabe staatlicher zugunsten marktförmiger Steuerung, welche zudem auch Marktversagen im Sinne eines Scheiterns am Markt und also ein Ende des staatlich garantierten Globalschutzes wissenschaftlicher Institutionen im Sinne einer sicher gewährleisteten (Unter-)Finanzierung impliziert:

„Bei genauer Betrachtung entpuppt sich […] die umfassende Wirtschafts- und Finanzautonomie der Hochschulen [des 21. Jahrhunderts] im Kontext des Modells Unternehmen Uni [somit] als spezifische Form der Fremdsteuerung der Hochschulen: als Heteronomie“ (ebd.: 251 f.).

Diese berührt deswegen auch die Wissenschaftsfreiheit selbst, weil ob der Einzug haltenden Marktsteuerung an den Hochschulen nun auch der einzelne Wissenschaftler und die einzelne Wissenschaftlerin institutionell dem unmittelbaren – statt wie bisher meist mittelbaren – Diktat der Nachfrageorientierung unterworfen werden wird: Diesem nicht gerecht zu werden, stellt ein institutionell organsiertes ‚Leistungsversagen‘ und also ‚schlechte Wissenschaft‘ im Sinne der nun neu implementierten Regeln des wissenschaftlichen Feldes dar – und läuft insofern auf die institutionalisierte Aufgabe der bisher zumindest potentiell vorhandenen Kritikfähigkeit der Wissenschaft gegenüber Herrschaft und dieser rechtfertigender Ökonomie hinaus. Kritik wird perspektivisch nur noch innerhalb von Marktregeln – also wo sie nachgefragt wird – oder aber ausschließlich innerhalb der individuellen Freizeit des alsbald vollumfänglich ökonomisch agierenden wissenschaftlichen Subjektes, also neben der institutionellen Arbeit, möglich sein.

Insofern stellt die derzeitige Entwicklung nicht etwa, wie bspw. Alex Demirovic (2004) argumentiert, eine „Zerstörung wissenschaftlicher Rationalität“, sondern lediglich deren finale Indienstnahme durch die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft respektive die in ihr materiell Herr­schenden dar: In Zeiten andauernder herrschaftsgefährdend-systemischer Krise, die ab etwa Mitte der 1970er Jahre wegen rapide sinkender Profitrealisierungsoptionen hintergründig stets schwelte und nun zunehmend deutlich wird, erfolgt als Antwort auf diese die „reelle Subsumtion [auch und insbesondere] der Wissenschaft unter das Kapital“ (Keller 2000: 117) und somit unter die Gesetze des Marktes, wie sie in den USA seit ehedem stattgefunden hat. Die wissenschaftliche Rationalität bleibt hierbei an sich zwar gewahrt, wird jedoch endgültig äußeren Zwecken untergeordnet und somit vollumfänglich instrumentalisiert (vgl. Horkheimer 2007).

Bildungs-‚Reformen‘: Vermarktlichung, Konkurrenz und Herrschaftslegitimation bei wachsender sozialer Ungleichheit

Auch wenn die soziostrukturellen Wirkungen der Umsetzung dieser Subsumtion noch nicht in Gänze absehbar sind, ist deren Gesamttendenz doch bereits offenbar. Unter der als Zielvorgabe formulierten Marktöffnung staatlicher Bildungsdienstleistungen ab der Sekundarstufe II[2] (vgl. Lohmann/Rilling 2002) sowie vor dem Hintergrund inzwischen hegemonialer Konzepte für die zukünftige Verfasstheit des Systems der Bildungsfinanzierung (vgl. Schaubild 1), zeichnet sich diese deutlich ab.

So sorgen bspw. Studiengebühren (die letztlich das Tauschverhältnis von kulturellem und ökonomischem Kapital zugunsten der ökonomisch Herrschenden verschieben), Globalhaushalte, Modularisierung, leistungsorientierte Mittelvergabe und Besoldung sowie eine Stärkung der hochschulischen Leitungsorgane für die finale Verwarenförmigung von ‚Bildung‘ und/oder Ausbreitung betriebswirtschaftlicher Steuerungsmechanismen und Organisationsformen im staatlich organisierten Hochschulbereich. Und korrelieren die Vorstellungen von Bachelor und Master, Internationalisierung und Europäischem Bildungsraum nicht nur mit Marktvorstellungen (vgl. Masschelein/Simons 2005, Krautz 2007: 143 ff.), sondern, in der Realisierungspraxis der zweistufigen Studiengänge, welche für die Mehrheit der Studierenden ein Studienende nach dem ersten Abschluss vorsieht[3] (vgl. KMK 2003), überdies mit der Möglichkeit, knapper werdende staatliche Mittel – diese Prämisse ist bildungsökonomisch gesetzt – in Form von Bildungskürzungen für die Mehrheit derselben zu kompensieren, während eine wahrscheinlich stärker als bisher sozial, weil ‚leistungs‘-selektierte Minderheit von Masterstudierenden, Promovierenden etc. hiervon verschont bleiben wird.

Und den durchsetzungsstarken Interessen nach sozialer Reproduktion der Privilegiertesten unter diesen (vgl. Hartmann 2004) spielen schließlich die das Hochschulwesen nach dem Misserfolg entsprechender Versuche in den 1950er und 1960er Jahren nun doch vertikal differenzierenden Praxen von Exzellenz- bzw. Elite-Universitäten als notwendige Eingangstore zur ‚Zwei-Klassen-Universität‘ (Hartmann, zitiert nach Echo Online 2007) in die Hände – eine Perspektive, die geradezu dazu verleitet, die Verstärkung des Wettbewerbs im Hochschulwesen als mutwillige „Verschleierung des [eigentlichen] Kernproblems“ (ebd.) desselben auf Kosten der Lebenschancen und -bedingungen von Mehrheiten – zu denen neben Studierenden und Mittelbau sehr wohl auch, zumindest in ihrer Breite, die Lehrenden gehören[4] – anzusehen.

Schaubild 1: System der Bildungsfinanzierung, zukünftige Verfassung
(nach Schöller 2006: 307)

Schaubild in Datei zum Download

Aus dieser Analyse-Perspektive ist Bultmann und Schöller (2003) und ihrer Arbeit ‚Die Zukunft des Bildungssystems: Lernen auf Abruf - eigenverantwortlich und lebenslänglich!‘ zuzustimmen, die die aktuell zu beobachtende Konzentration bildungspolitischer Bemühungen auf den Vor- und Primärschulbereich bei zeitgleichem Aus- und Aufbau von Selektionsmechanismen im Bereich höherer Bildung (vgl. Wernicke 2006b) vor allem als marktkonforme und die Reproduktions­interessen vor allem der ökonomisch Herrschenden wahrende „Modernisierung von Auslese­me­cha­nis­men“ (Bultmann/Schöller 2003: 14) begreifen: ‚Unten‘ werden Bildungshürden abgebaut, ‚oben‘ kommen, ab dem Abitur, immer neue hinzu.

In der Konsequenz laufen, so die Interpretation von Bultmann und Schöller verkürzt, die stattfindenden und zu erwartenden Reformen dabei auf einen im Geiste der Humankapitaltheorie radikal erhöhten Lern- und Leistungsdruck für alle Bürgerinnen und Bürger bereits ab dem Kindergarten(-alter)[5] hinaus.

Hinsichtlich der Studienabschlüsse bedeutet dies bei verschärfter Bildungskonkurrenz (mittels weiterhin forcierter formaler Öffnung der Hochschulen bei gleichzeitiger Senkung der staatlichen Zuwendungen für diese), dass deutlich mehr Studierende als bisher einen zu Teilen eigenfinanzierten Bachelor-Abschluss erwerben werden, dessen Wert somit rapide sinkt, während einen Mastertitel und ggf. die Promotion an Einrichtungen, deren legitimes kulturelles Kapital dank der Vertikaldifferenzierung des Systems nun bei weitem mehr als das anderer wert sein wird, nur noch die wenigsten Studierenden erreichen werden, die zudem in der Regel die ohnehin gesellschaftlich Privilegiertesten sein werden[6].

Insofern ist das Konglomerat der ‚Reform‘-Maßnahmen, denen aktuell das deutsche Bildungssystem unterworfen wird, als (erneute) gesamtgesellschaftliche Modernisierung im Sinne einer höheren Verfügungsnotwendigkeit über kulturelles Kapital im gesamten sozialen Raum, verbunden mit der Entwertung desselben im Schul- und Massenstudienbereich sowie der sukzessiven Aufwertung in ‚Elite‘-Einrichtungen und bei höheren Bildungstiteln anzusehen: Wer aus der sozialen Position seines Elternhauses nicht absteigen will, verhält sich zukünftig bereits ab dem Kindergarten als homo oeconomicus, bezahlt zudem für Abitur und Bachelor, erbringt dabei stets mehr Effizienz und Systemkonformität – und fällt schließlich mit hoher Wahrscheinlichkeit dennoch der Titelinflation und/oder Konkurrenz, die sich hintergründig mehr denn je auf der Basis ökonomischen Kapitals und kulturellen Erbes organisiert, zum Opfer, hat dieses ‚Versagen‘ jedoch als legitimes erlebt.

Die durch das derart umgestaltete Bildungssystem so weiterhin gewahrte „Verdopplung der kapitalistischen Hierarchie der Positionen […] [bleibt dabei auch und insbesondere in Zeiten zunehmender sozialer Ungleichheit zugleich] ihre stärkste Rechtfertigung: Sie stellt die Ränge und die Einkommen, welche die Gesellschaft bereithält, als Unterschiede des Wissens dar“ (Dozekal 2003: 18) und verleiht ihnen so den Anschein von Legitimität. Oder, und anders herum: „Je exklusiver und homogener eine nationale Elite, umso größer [auch] die Kluft zwischen Arm und Reich“ (Hartmann 2007: Einband); der Rückkehrschluss scheint nicht nur erlaubt, sondern angebracht zu sein.

Der stille Klassenkampf von oben

In den vergangenen Jahren ist es dem international vernetzten neoliberalen Diskursnetzwerk (vgl. u.a. Nollert 2005) gelungen, mit einem ganzen Konglomerat von Studien[7], Rankings[8], Pilotprojekten, Umfragen[9], Werbemaßnahmen etc. (vgl. u.a. Himpele 2006, Alidusti 2007: 207 ff.) auch „die bildungspolitischen Richtungsentscheidungen […] immer stärker“ zu beeinflussen (Schöller 2006: 286) und einen neuen Bildungsfinanzierungsdiskurs zu initiieren (vgl. ebd.: 304), der in bereits erwähnten Zielformulierungen von ‚höherer Eigenbeteiligung‘ bis hin zu ‚notwendiger Effizienzsteigerung‘ resultiert.

Eine Folge hiervon sind die aktuell stattfindenden – und von diesen Akteuren weiter forcierten, in Teilen sogar selbst evaluierten oder durchgeführten[10] – Reformen. Sie zielen, wie Bourdieu konstatiert (vgl. Bourdieu 2001: 82 ff.), „auf eine Überwindung der modernen Ausdifferenzierung von je spezifischen Systemrationalitäten“ der sozialen Felder (Keller 2000: 322) nicht nur, aber auch im Bildungssystem und damit auch auf das Ende der seit Humboldt proklamierten relativen Autonomie des wissenschaftlichen Feldes – die ja eben definiert ist durch vor allem eigene Problemdefinitionen, eine eigene Sprache sowie feldspezifische Interessen.

Diese ‚Reformen’ zeitigen bereits erst Resultate: „Das nun in Eigenverantwortung der Hochschulen gemanagte Studienangebot wird in einem Maße uniformiert, wie es die rigideste Ministerialbürokratie vorher nicht vermocht hatte. Der Markt produziert nicht Buntheit und Vielfalt, sondern einen mediokren Einheitsbrei“ (Heinemann 2007). Kritische Positionen werden dabei mehr und mehr eliminiert[11]. Diese ‚Leistungen‘ des ‚neoliberalen Projekts‘ (Christina Kaindl) verdeutlichen nicht nur, dass Wissenschaft abhängig von den Machtverhältnissen der Gesellschaft war und ist, in der sie sich organisiert und in der sie bisher bereits mittelbarer Zulieferer der mächtigsten Interessen war. Sie zeigen auch, dass die ökonomisch Mächtigen mittels Nachfrage, der die Struktur des Wissenschaftsbetriebs folgt, oder mittels Intervention in die Lage versetzt sind, zu bestimmen, was – in letztlich vollumfänglichem Sinne des Begriffes ‚Bildung‘ – wertvolles und also verwertbares Kulturkapital eigentlich ist: Wird die neoliberale Doxa nur kontinuierlich von Think Tanks, Medien und wissenschaftlich ausgebildeten Technokraten – die allesamt interessengeleitet sind und nicht -frei agieren – verbreitet und werden letztere zudem ständig medial als vermeintliche Experten (vgl. bspw. van Rossum 2004, Lobbycontrol 2006) mit hoher wissenschaftlicher Reputation und also gesellschaftlicher Anerkennung und Glaubwürdigkeit präsentiert, entscheiden schließlich außerwissenschaftliche Instanzen darüber, was ‚gute‘ weil ‚gefragte‘ und bewusst glaubwürdig gemachte Wissenschaft eigentlich ist.

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[1] Der Beitrag beruht auf einer umfassenderen Studie: Hochschule im historischen Prozess. Zum Verhältnis von Universitätsentwicklung und Klassenmacht, Diplomarbeit an der Bauhaus-Universität Weimar, 2008.

[2] Um nur einen Akteur, der in diese Richtung agierte (und vielleicht nach wie vor agiert), zu benennen: Im Mittelpunkt ausgerechnet der Empfehlungen des Sachverständigenrates für Bildungsfinanzierung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS) des Jahres 1999 stand die Einführung von Bildungsgutscheinen, die auf einer Kontingentierung und damit grundsätzlichen Kostenpflichtigkeit von Bildung ab der Sekundarstufe II beruhen.

[3] Mit Bourdieu ist an dieser Stelle anzumerken, dass die mittels der Einführung von Bachelorstudiengängen realisierte Bildungskürzung für die (geplante) Mehrheit der Studierenden sehr wohl auch im Interesse der heute Lehrenden liegt, welche diese schließlich allein auf politischen Druck und ohne gesetzliche Zwänge exekutieren: „Wenn man weiß, daß innerhalb der Transaktionen, in denen der Tauschwert der Bildungszertifikate festgelegt wird, die Stärke der Verkäufer von Arbeitskraft […] vom Wert ihrer Zertifikate abhängt, und dies um so stärker, je rigider das Verhältnis von Titel und Stelle kodifiziert wird – was für die etablierten Stellen zutrifft, kaum dagegen für die neuen, wird unmittelbar einsichtig, warum die Abwertung der Titel in direktem Interesse der jeweiligen Stelleninhaber liegt: Sind die Inhaber von Titeln an deren Nominalwert interessiert […], so die Stelleninhaber am Realwert der Titel […]“ (Bourdieu 1987: 239 f.).

[4] Zu rechnen ist bei dieser Entwicklung auch und vor allem mit einer zunehmenden Prekarisierung des wissenschaftlichen und anderen Hochschulpersonals, das nun in ‚Unternehmen‘ arbeitet, die nachfrageorientiert und also flexibel am Markt agieren müssen. Die Online-Ausgabe des SPIEGEL (Kunze 2007) titelte diesbezüglich bereits im Juli 2007: „Lehren mit Hartz IV. Vom Superstudenten zum Betteldozenten“ und berichtete von einer zunehmenden Zahl habilitierter Privatdozenten, die von nunmehr 225 Euro im Monat zu leben versuchen – eine Konsequenz aus der Tatsache, dass binnen der letzten 10 Jahre rund 1.500 Professorenstellen deutschlandweit abgebaut wurden und dieser ‚Trend‘ weiter anhaltend ist (vgl. Deutscher Hochschulverband 2007). Politisch wird derweil das in der stattfindenden Entwicklung bereits vollumfänglich angelegte Ende des Humbolt‘schen Ideals der Einheit von Forschung und Lehre, das bis dato zumindest noch bedeutete, dass es keine Differenzierung in Forschungs- und Lehrprofessuren gibt, diskutiert und zeichnet sich zudem eine (erneute) Infragestellung von Habilitation sowie ggf. sogar der Verbeamtung für Professorinnen und Professoren ab.

[5] Ein dies vor Augen führendes Beispiel illustriert die Vergabe des Arbeitgeberpreises für Bildung des Jahres 2007. Unter dem Titel Kleine Kapitalisten klärte die Financial Times vom 13. Dezember 2007 darüber auf: „Schon Fünfjährige verstehen Ökonomie. In einer Bremer Kita lernen sie als Bäcker oder Gärtner kaufen und kalkulieren. Dafür erhält die Einrichtung den Arbeitgeberpreis“ (FTD 2007).

[6] Das gern beschworene ‚Vorbild‘ USA führt deutlich vor Augen, wie ein modernes kapitalistisches Bildungssystem vermeintlich ‚mehr‘ sozial Benachteiligte zu ‚integrieren‘ gedenkt: „Die Bildungsbeteiligung im postsekundären Sektor liegt in den USA vor allem deshalb so hoch, weil das Angebot an Bildungsinstitutionen in diesem Bereich außerordentlich groß ist und – weit wichtiger – weil es extrem unterschiedlich ausfällt. Von den ungefähr 4.200 Hochschulen des Landes bieten gut 1.800, in der Regel sog. Community Colleges, nur ein zweijähriges Kurzstudium an. Ungefähr 40 Prozent der Studierenden begnügen sich mit dieser Kurzausbildung. Die übrigen Hochschulen, allesamt zumindest Vierjahreseinrichtungen, werden üblicherweise in vier oder in sechs Kategorien unterteilt, von ‚tier 1‘ bis ‚tier 4‘ bzw. von ‚most competitive‘ bis zu ‚noncompetitive‘. Bei der Aufteilung in vier Kategorien zählen zur ersten knapp 150 Colleges und Universitäten, zur zweiten gut 250 Colleges, zur dritten knapp 590 und zur vierten gut 420. Den deutschen Universitäten in etwa vergleichbar ist nur die erste dieser vier Gruppen, weil dort in der Regel Forschung stattfindet und auch promoviert werden kann. Die Kinder aus den verschiedenen Klassen und Schichten der US-Gesellschaft verteilen sich sehr ungleichmäßig auf diese vier Hochschultypen. Kommen die Studierenden an den Hochschulen der Kategorie 1 zu drei Vierteln aus dem obersten Viertel der Bevölkerung und nur zu 3 bzw. 6 Prozent aus den beiden unteren Vierteln, so bietet sich an den anderen Hochschulen je nach Qualität ein vollkommen anderes Bild. Der Anteil des obersten Viertels sinkt auf 46 Prozent in der Kategorie 2, auf 35 Prozent in den Kategorien 3 und 4 und auf nur noch 22 Prozent an den Community Colleges. Spiegelbildlich verkehrt steigt der Prozentsatz der Kinder aus der unteren Hälfte der Bevölkerung, von 9 Prozent (Kategorie 1) über 25 (Kat. 2), 29 (Kat. 3) und 37 Prozent (Kat. 4) auf eine Mehrheit von 51 Prozent an den Zweijahreseinrichtungen […]. Das bedeutet, dass die übergroße Mehrzahl der Studierenden aus der unteren Bevölkerungshälfte entweder nur eine zweijährige Hochschulbildung durchläuft oder an den Hochschulen der beiden schlechteren Kategorien ausgebildet wird“ (Hartmann 2005: 2 f.).

[7] Alle mir bekannten aktuellen Maßnahmen dieser Couleur setzen als Prämisse, dass die de facto bei weitem zu niedrigen staatlichen Zuwendungen für das Bildungssystem konstant bleiben oder gar reduziert werden müssen; erst hieraus leiten sich dann die jeweiligen ‚Forschungsfragen‘ ab, deren Antworten so tatsächlich bereits festgelegt sind. Derlei Fragen lauten dann bspw.: Wie ist es möglich, Studiengebühren ‚sozial gerecht‘ zu machen? (Was ob der diesen immanenten Abschreckungswirkung auf ‚Ärmere‘ (vgl. ABS 2005) respektive eben der Tatsache, dass historisch nachgewiesen eben auch bei Bildung der ‚Preis‘ die ‚Nachfrage‘ bestimmt (vgl. Achelpöhler et al.: 25 ff) per se unmöglich ist.) Oder eben: Wie kann bei gleichbleibend hoher oder sinkender Finanzierung seitens des Staates die ‚Qualität‘ von Bildung verbessert werden? Die Antwort hierauf lautet dann, wie könnte es anders sein: Mittels mehr Wettbewerbs und Konkurrenz sowie ggf. einer höheren finanziellen Eigenbeteiligung (für die ja bereits, als Antwort auf die erste Frage, Gerechtigkeitskonzepte erarbeitet worden sind). – Was hier tatsächlich organisiert wird, sind denn auch weniger Gerechtigkeit oder Qualität im Sinne ihrer bisherigen Bedeutungen, als vielmehr neue Verständnisse hiervon (vgl. Bultmann/Schöller 2003: 10 ff., Alidusti 2007: 203 ff.).

[8] Die Quantifizierung von Qualität, das Messen also bspw. der vermeintlichen ‚Qualität‘ von Bildung oder gar des Hochschulsystems anhand diesem äußerlicher Kriterien, stellt aktuell wohl das größte demagogische Unterfangen dar: Zum einen unterstellen derlei Quantifizierungen nämlich die Diskussion darüber, was Bildung eigentlich ist, der willkürlichen Festlegung jener – Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), OECD etc. –, die quantifizieren (vgl. Markard 2005); sie entreißen Bildung somit aus dem diskursiven demokratischen Definitionszusammenhang. Zum anderen wird durch derlei Übertragung der Deutungshoheit über den Qualitätsbegriff an solche Instanzen, die nun selbst festlegen, was Bildung und Qualität derselben eigentlich ist, diesen jedoch auch mittelbar Zugriff auf das Bildungssystem und dessen Bestimmung gewährt, wie bspw. Rankingkritiker Meik Michalke illustriert, wenn er konstatiert, das Hochschulranking von SPIEGEL/McKinsey und AOL habe anhand seiner Kriterien vor allem eines real gemessen, nämlich „wo die Qualität des jeweils vorhandenen Humankapitals an Hochschulen am höchsten“ (fzs 2005: 15) sei – und dies dann als ‚Qualität‘ darge­stellt. In der Folge ergibt sich eine Situation, in der das gesamte und vermeintlich mittels Rankings qualitätsüberprüfte Bildungssystem unter Reformdruck hin zur Produktion humankapitalorientierter ‚Bildung‘, die eher Anwendungswissen denn Weltverstehen beschreibt, gerät. Die gemessenen Leistungsunterschiede werden in diesem Sinne erst künstlich hergestellt – nur die geringste Abänderung der Messkriterien katapultierte ggf. eine schlecht-gerankte Hochschule von einem hinteren auf den vordersten Platz (vgl. Michalke/Naß/Nitsche 2007). – Ebenso ist staatlicherseits auch bei der so genannten ‚Exzellenzinitiative‘ (hierzu auch: Münch 2007) verfahren worden: Anhand der gewählten Messkriterien stand sozusagen bereits von Anfang an fest, wer als deren Sieger aus ihr hervorgehen würde (vgl. Hartmann 2006). Auch dieser ‚Wettbewerb‘ diente insofern vor allem einem: der öffentlichen Unsicht­bar­machung/Legi­timie­rung des forcierten ‚Mat­thäus-Prin­zips‘ (R. Merton) – der, auf Kosten aller anderen gehenden (ebd.), bewussten Konzentration knapper Mittel auf nur noch die wenigsten.

[9] Meinungsumfragen werden in aller Regel von ihren (privaten) Auftraggebern bereits so organisiert, dass sie eben die gewünschten Antworten liefern. Insofern eignen sie sich hervorragend als Herrschaftsinstrument, vermitteln sie in ihrer Konsequenz doch als wissenschaftlich fundierte vermeintliche ‚Wahrheit‘: ‚Ihr wollt es doch so!‘ oder eben: ‚Ihr Kritiker seid in der absoluten Minderheit, findet Euch mit dieser Niederlage ab!‘ (zur sogar nachträglichen Manipulationen von Umfragen zum Thema Studiengebühren seitens des CHE vgl. Himpele 2006). Bezüglich des Bildungssystems hat hier erst kürzlich die GEW (2007)– in Reaktion auf eine Umfrage, die vermeintlich ergab, eine Mehrheit der Deutschen sei per se für das dreigliedrige Schulsystem – exemplarisch derlei Zusammenhänge aufgedeckt.

[10] In Nordrhein-Westfalen schrieb das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), ein Think Tank, der aus Mitteln der Bertelsmann Stiftung finanziert wird und daher den hinter dieser stehenden Interessen verpflichtet ist, nicht nur (mehr oder minder) selbst das neue ‚Hochschulfreiheitsgesetz‘, sondern ist überdies nun auch mit der Überwachung dessen Umsetzung an den Hochschulen betraut (vgl. Lieb 2007b).

[11] „Als es in Frankfurt vor einiger Zeit um die Berufung von Alex Demirovic ging, der erklärtermaßen die Kritische Theorie vertrat, hat sich der jetzige Präsident Rudolf Steinberg öffentlich damit gebrüstet, dass er seine Anstellung durch entsprechende Gutachten verhindern konnte. In Bremen werden die international sehr renommierten Lehrstühle für Behindertenpädagogik von vier auf zwei reduziert. Hier hatten Georg Feuser und Wolfgang Jantzen einen innovativen Ansatz vertreten, der gegen die Aussonderung und Stigmatisierung von Behinderten gerichtet war. In Marburg wird die Nachfolge des Politikwissenschaftlers Frank Deppe blockiert. Deppe galt als letzter Vertreter der von Wolfgang Abendroth begründeten Schule marxistischer Politikwissenschaft. Als sein Schüler Dieter Plehwe auf der Berufungsliste auftauchte, zog es der Marburger Präsident Volker Nienhaus vor, den Lehrstuhl ganz zu streichen [usw. usf.]. […] Einerseits geht es sicher um politische Disziplinierung, andererseits [aber auch] um die stromlinienförmige Ausrichtung auf den Bologna-Prozess, der auf keinen Fall gestört oder verzögert werden soll“ (Karl-Heinz Heinemann, zitiert nach Stegemann 2007b).