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Dezember 2018

Ein Jahrhundert Sozialpartnerschaft

Welch’ freudiges Ereignis: lachend reichen sich – bei einer Konferenz im Deutschen Historischen Museum in Berlin – der Vorsitzende des DGB, Rainer Hoffmann (SPD), der Bundesarbeitsminister Heil (SPD) und der Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer die Hände – wie einst im Wappen der SED. Bundespräsident Steinmeier (SPD) beglückwünscht sie zum angeblichen Erfolg einer hundertjährigen Sozialpartnerschaft, die am 15. November 1918 mit dem sog. „Stinnes-Legien-Abkommen“ zwischen den Führungen der freien und christlichen Gewerkschaften sowie führenden Kapitalisten begründet worden sei. Inhalt des Abkommen war u.a.: die Gewerkschaften werden anerkannt als „gleichberechtigte Tarifparteien“, Einführung des Acht-Stunden-Tages, Anerkennung von Arbeiterausschüssen. Als Gegenleistung akzeptierten die Gewerkschaften die „freie Unternehmerwirtschaft“. Der von den Arbeiterräten und dem linken Flügel der Arbeiterbewegung vertretenen Forderung nach „Sozialisierung“ wurde faktische eine Absage erteilt. Für die Kapitalisten schrieb ein führender Stahlmanager: „Es kam darauf an: Wie kann man das Unternehmertum vor der Sozialisierung, Verstaatlichung und nahenden Revolution bewahren… Angesichts der wankenden Macht des Staates und der Regierung gibt es für die Industrie nur in der Arbeiterschaft starke Bundesgenossen: die Gewerkschaften“.

Die Führung der Gewerkschaften hatte seit 1914 die Kriegspolitik des Kaiserreiches, Annexionen, die Militarisierung der Arbeit und die Diktatur von Ludendorff unterstützt. Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert war nach dem Sturz der Monarchie ein Bündnis mit der Obersten Heeresleitung (General Gröner) eingegangen, um der Regierung des Rates der Volksbeauftragten die Loyalität der Reichswehr zu sichern. Gemeinsam sollte „die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung“, die „Abwehr des Bolschewismus“ und eine „Armee mit Disziplin zum Schutz des Staates“ angegangen werden. In der Novemberevolution, nach dem Sturz der Monarchie sollten diese Bündnisse zunächst einmal das Ziel verfolgen, eine Revolution nach russischem Vorbild – zusammen mit anderen revolutionären Bewegungen in Europa – zu verhindern. Damit wurden die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die gewaltsame Niederschlagung von linken Bewegungen bis 1923, der „Bluthund Noske“ und das Wüten der Freikorps usw. ermöglicht. Die proletarische Linke blieb auf Jahrzehnte – im wechselseitigen Hass – gespalten. Das Kapital und die Führung der Reichwehr sorgten mit den bürgerlichen und rechten Parteien, später mit der NSDAP dafür, dass die „Errungenschaften von 1918“ (auch der Achtstundentag, der schon 1924 außer Kraft gesetzt war) – schrittweise zurückgefahren wurden. Im Jahre 1933 liquidierten diese Kräften schließlich auch die Gewerkschaften und terrorisierten ihre Aktiven in den KZs. Hugo Stinnes, am Ende des Krieges mächtigster Kapitalist im Lande, finanzierte schon 1920 (im Jahr seines Todes) die „Antibolschewistische Liga“, deren Anhänger schließlich mit Adolf Hitler triumphierten und sich auf die große „Endschlacht“ mit Marxismus und „Bolschewismus“ vorbereiteten.

In den Gewerkschaften – vor allem im Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) – hatte schon während des Krieges die Opposition gegen den Kurs von Carl Legien zugenommen. Robert Dissmann (USPD) und Richard Müller (für die revolutionären Obleute in Berlin) waren ihre Sprecher Dissmann wurde 1919 zum Vorsitzenden des DMV gewählt.

Schlussfolgerung: Das Stinnes-Legien-Abkommen hat einen wesentlichen Beitrag zur Unterdrückung der Revolution und der Klassenbewegungen von links geleistet. Damit wurden Weichen für die Schwäche der Weimarer Demokratie und für den schließlichen Sieg der Gegenrevolution gestellt. Gewerkschaften sollten sich nicht als Gehilfen des Kapitals und des kapitalistischen Staates bei der Unterdrückung von Arbeiterbewegungen missbrauchen lassen – in der bisherigen Geschichte hat sich das immer bitter gerächt! Wer mit dem Kapital Vereinbarungen und Kompromisse schließt, sollte als Gegenmacht immer stark genug sein, um beim Bündniswechsel der Kapitalisten zu den extrem rechten – antidemokratischen und antisozialistischen – Kräften Gegenwehr zu leisten – wie beim Kapp-Putsch im Jahre 1920, als der erste Ansturm der Rechten auf die Macht durch einen Generalstreik zurückgeschlagen werden konnte. Noch 1949 – bei der der Gründung der Einheitsgewerkschaft DGB – war diese Lehre noch in den Köpfen der Gründer gegenwärtig.

Literaturtip zum Ausfüllen von historischen Bildungslücken: Frank Deppe / Georg Fülberth / Jürgen Harrer (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, 4. aktualisierte und erweiterte Auflage, Köln 1989, besonders S. 178 ff., sowie: IG Metall (Hrsg.), Fünfundsiebzig Jahre Industriegewerkschaft 1891 bis 1966, bearbeitet von Fritz Opel und Dietz Schneider, Frankfurt / Main 1966, besonders S. 199 ff.

Frank Deppe

Eine neue Weltwirtschaftskrise?

Zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 wird die Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit einer neuen Krisebreit diskutiert. Diese Frage kann allerdings ohne Bezug zur Entwicklung der ‚realen‘ Produktion kaum beantwortet werden. Daher sei zunächst der Konjunkturzyklus der entwickelten Länder betrachtet, an ihrer Spitze der USA: Dort geht der 2009 eingesetzte Aufschwung in sein zehntes Jahr, eine lange, aber relativ flache Expansionsperiode. Das US-amerikanische „Business Cycle Dating Committee“ sieht in seinem jüngsten Risiko-Bericht Zeichen einer Wachstumsverlangsamung, rechnet aber nicht mit einer Rezession. Dies deckt sich mit Prognosen für die übrigen Länder des entwickelten Blocks.

Das könnte beruhigen, sind die USA doch immer noch die weltweit größte Volkswirtschaft. Allerdings ist in Rechnung zu stellen, dass die aktuelle US-Konjunktur von den expansiven Staatseingriffen der Trump-Administration beeinflusst wird, vor allem den massiven Steuersenkungen für Unternehmen. Dies kurbelt die Wirtschaft an, ohne dass die Arbeitseinkommen – und damit die Konsumnachfrage – entsprechend steigen. Die US-Konjunktur gilt als überhitzt, das Risiko plötzlicher Rückschläge ist hoch.

Dieser Blick auf die ‚Realwirtschaft‘ ist notwendig, bevor auf die Fragilität der Finanzmärkte eingegangen werden kann. Viele Beobachter vergessen, dass der Ausbruch der Finanzmarktkrise in den USA vor dem Hintergrund einer Rezession erfolgte, die bereits Ende 2007 eingesetzt hatte: Es folgte ein konjunktureller Abschwung, der erst in der zweiten Jahreshälfte 2009 zum Ende kam. Basis der wirtschaftlichen Entwicklung sind immer noch die ‚Realwirtschaft‘ und ihre Widersprüche, die „Hypertrophie der Finanzmärkte“ potenziert allerdings die Krisenwirkungen.

Schon eine milde Rezession könnte die im Finanzsektor angestauten Widersprüche zum Ausbruch bringen. Diese sind trotz einiger Reformen, die vor allem die Banken krisenfester gemacht haben, heute eher größer als 2008: Die globale Verschuldung ist 2018 nach Zahlen des Institute of International Finance (IIF) mit rund 320 Prozent der weltweiten Produktion höher als 2007, als sie ‚nur‘ bei 290 Prozent lag. Besonders groß sind die Probleme im Unternehmenssektor, dessen Verschuldung bedrohlicher ist als die Staatsverschuldung. Faktoren, die das Schuldengebäude ins Wanken bringen könnten gibt es viele:

- Hauptgefahrenherd ist der angestrebte und letztlich unvermeidbare Ausstieg der Notenbanken aus der Niedrigzinspolitik. Deutlich steigende Zinsen würden dazu führen, dass viele Unternehmens- und Staatsschulden nicht mehr bedient werden können.

- Sollte die aktuell zu beobachtende Wachstumsverlangsamung in eine Rezession übergehen, dann erschweren ein hoher Schuldenstand und niedrige Zinsen eine antizyklische Wirtschaftspolitik. Schon jetzt erscheint fraglich, ob der allmähliche Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik mit einer sich abschwächenden Konjunktur zusammenpasst.

- Steigende Hypothekenzinsen könnten den Immobilienboom beenden und dort bestehende Finanzblasen zum Platzen bringen.

- Die starke US-Konjunktur und Zinserhöhungen der US-Notenbank stützen den Dollar. Eine Aufwertung des Dollar könnte Finanzkrisen in schwachen Schwellenländern auslöst.

- Ein von Trump ausgelöster Handelskrieg ist bislang noch Drohkulisse. Derzeit wächst der Welthandel, und zwar schneller als die Produktion. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass handelspolitische Maßnahmen Panikreaktionen an den Finanzmärkten auslösen könnten.

Abschließend sei auf ein eher stabilisierendes Element verwiesen: der weitere Aufstieg einiger Schwellenländer, an der Spitze China und Indien. Der Umbau der weltweit zweitstärksten Ökonomie (China) in Richtung auf eine konsumorientierte Binnenwirtschaft kommt voran. Der chinesische Außenhandel ist fast ausgeglichen, der Staat nach wie vor ökonomisch steuerungsfähig. Zwar ist die Verschuldung insbesondere der chinesischen Unternehmen hoch, Staat und Notenbank scheinen aber in der Lage, die Folgen möglicher Kreditausfälle abzufedern.

Jörg Goldberg

Historiker im Kampf gegen rechts?

Es ist kaum zu glauben: Teile der deutschen Historikerinnung wagen den Schulterschluss gegen rechte Stimmungsmacher, die den Faschismus als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte bagatellisieren und sich für den „wahren Volkswillen“ stark machen, was als Anleihe an die rechten Angriffe auf das Weimarer „System“ verstanden werden kann.

Der 52. Deutsche Historikertag in Münster ermutigte unter der passenden Überschrift „Gespaltene Gesellschaften“ politisch Klartext zu reden. Eine Mehrheit der anwesenden Mitglieder der Verbandes Deutscher Historiker verabschiedete eine Resolution „zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“1.

Sie konstatieren, dass „in Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern … derzeit maßlose Angriffe auf die demokratischen Institutionen die Grundlagen der politischen Ordnung“ (bedrohen). Deshalb halten sie es für ihre „Pflicht, vor diesen Gefährdungen zu warnen. Streit ist essentiell in einer pluralistischen Gesellschaft, aber er muss bestimmten Regeln folgen, wenn er nicht die Demokratie selbst untergraben soll.“ Der Subtext wendet sich gegen die rechtskonservativen Vorstöße der Gauland und Höcke, ohne aber diese, ihre Geistesverwandten oder die AfD beim Namen zu nennen. Dagegen wollen die Historiker Grundregeln eines pluralistischen Diskurses setzen, mit dem sie sich von der „antidemokratischen Sprache der Zwischenkriegszeit“, der nun wiederkehre, abgrenzen wollen. Ihre Eckpunkte: „eine historisch sensible Sprache, gegen diskriminierende Begriffe“; das Bekenntnis zu „parlamentarische(r) Demokratie und pluralistische Streitkultur, gegen Populismus“; „ein gemeinsam handelndes Europa, gegen nationalistische Alleingänge“; „Humanität und Recht, gegen die Diskriminierung von Migranten“; „eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, gegen den politischen Missbrauch von Geschichte“.2

Auch wenn die eigentlichen Adressaten namenlos bleiben, es finden sich nicht wenige eher konservativ orientierte Kollegen, die in dieser Bekenntnisresolution einen Angriff auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit wittern. Nun mag gerade für links verortete Wissenschaftler die Erfahrung mit von Politbüros verordneten Geschichtsinterpretationen warnend wirken. Aber so weit gehen die Münsteraner wahrlich nicht. Sie fordern eine überschaubare Parteilichkeit für demokratische, antirassistische Politik und Wissenschaft ein, die allerdings für konservative Kritiker als die Verteidigung der vehement abgelehnten Regierungspolitik mit ihrer Grenzöffnung und als Manifestation eines für sie fatalen Demokratieverständnisses erscheint. Einige dieser Auseinandersetzungen3 haben sich auf den Seiten der FAZ niedergeschlagen (könnten aber auch mit ähnlicher Stoßrichtung aus „Cicero“, dem Deutschlandfunk oder der „Welt“ belegt werden). Der für „Geisteswissenschaften“ zuständige FAZ-Redakteur Patrick Bahners4 attackiert das „Kollektiv der Aufgeklärten“ und denunziert sie, da sie ihr „Expertenwissen“ ideologisch einsetzten. Sein Entsetzen ist zu erahnen, wenn er schreibt, dass „im Historikermilieu ... die Hegemonie des sogenannten linksliberalen Common Sense ungebrochen (scheint). Warum begnügen sich die tonangebenden Leute im Fach nicht damit, die soziale Macht, die ein solcher Konsens bedeutet, in den Formen wissenschaftlicher Kommunikation auszuspielen ... und vielleicht auch Unterschriftslisten?“ Die Resolution aber ist für ihn Ausdruck dafür, dass „ein Fachverband Parteitag“ spiele und sich politisch einmische. Die konservativen Historiker Dominik Geppert und Peter Hoeres wenden sich gegen jene Fachkollegen, die lieber in ihrer „linksliberalen 'Komfortzone'„ verbleiben wollen. In den kritischen Bemerkungen der Resolution zur Kolonialschuld und ihrem positiven Bezug zur Migration meinen sie die „intellektuelle Sackgasse“ auszumachen, „in die man gerät, wenn man Fachkompetenz für politische Zwecke“ funktionalisiert. Messerscharf schließen sie, dass „die Spaltung, die das Leitthema des Historikertages war“ nun „durch die wohlfeile Resolution in den Verband hineingetragen“ werde.5

In einer Erwiderung auf derartige Vorstöße bekennen sich Frank Bösch, Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschungen, und Johannes Paulmann zur Verantwortung der Historiker gegen den „aktuellen Rechtspopulismus und -extremismus“. Gerade weil diese regelmäßig mit „geschichtspolitischen Vorstößen, insbesondere mit der Relativierung der Verbrechen während des Nationalsozialismus und der Idealisierung der deutschen Nationalgeschichte“ ihr politisches Geschäft betreiben und in ihrer Rhetorik an Weimarer Verhältnisse erinnern. Gleichzeitig warnen die beiden vor jenen Entwicklungen in anderen europäischen Staaten, wo „rechtspopulistische Regierungen geschichtspolitische Vorgaben durchsetzen“. Eine vermeintliche „Autonomie der Wissenschaft“, ein Schweigen reicht nicht mehr.6

Anzumerken bleibt die fehlende Konsequenz der Resolution. Gab es im Historikerstreit der 1980er Jahre noch ein mehrheitlich klares Votum zur Singularität der faschistischen Verbrechen, so war dies wenige Jahre später aufgeweicht. Nun feierte der Totalitarismustheorie fröhliche Urständ, sprachen auch Fachhistoriker von den „zwei Diktaturen“ und relativierten damit wesentliche Einsichten über das Funktionieren von Faschismus und Neofaschismus so lange, bis nicht nur dem Antikommunismus, sondern auch der Demokratiefeindlichkeit Tür und Tor geöffnet wurden. Der böse gemeinte Vorwurf, dass diese Resolution die Spaltung der Gesellschaft auch in die Historikerschaft hineinträgt ist allerdings stimmig. Gerade deshalb ist das Bekenntnis zu Demokratie und gegen rechte Polemik wie Politik so wichtig.

Stefan Bollinger

Wahlen 2018
Erosion und Neuformierung des Parteiensystems

Unter dem Druck der kapitalistischen Modernisierung, des seit den 1990er Jahren auch politisch „entfesselten“ Neoliberalismus und der Herrschaft der globalisierten Finanzmärkte erodiert das bundesrepublikanische Parteiensystem immer schneller und vollzieht dabei eine Entwicklung nach, die in zahlreichen europäischen Nachbarländern schon in vollem Gange ist.

Sozioökonomische und kulturelle Verunsicherungen, die den Alltag von immer mehr Menschen bestimmen, bilden den Hintergrund politischer Erosionen: wachsende soziale Ungleichheit bei geradezu obszönem Reichtum, Deregulierung und Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen bei Ausweitung der Lohnabhängigkeit, geschwächte Gewerkschaften, Internationalisierung der Kapitalverhältnisse und Krisenerfahrungen, zunehmende internationale Konflikte, zugleich wachsender Druck zu Ökologisierung, Aufbrechen traditioneller Geschlechterrollen, Digitalisierung, ethnische und kulturelle Pluralisierung der Gesellschaft unter dem Druck von Einwanderung und Migration. Den durch ausufernde globalisierte Wirtschaftskriminalität, Skandale in Kirchen, Sportverbänden, Parteien usw. delegitimierten „Eliten“ wird immer weniger zugetraut, die mit den erwähnten Veränderungen und Verunsicherungen verbundenen Probleme lösen zu können. Während das politische System von den Bürgern einerseits mehr Flexibilität, den Verzicht auf Sicherheit und ständige ‚Reformen‘ einfordert, ist es selbst nicht in der Lage, sich selbst zu reformieren. Die Probleme werden verwaltet, es herrscht die Logik des ‚weiter so‘. Dieser Prozess hat seit den Bundestagswahlen 2017 rasant an Fahrt aufgenommen und zeigte sich eindrucksvoll bei den Landtagswahlen dieses Jahres in Bayern und Hessen.

Er äußert sich zum einen im Hochkommen der AfD – dem Aufstieg des konservativ-reaktionären, rassistischen und gegenüber dem Neofaschismus offenen Flügels der Rechten, der als Drohpotential gegenüber dem politischen Establishment Anziehungspunkt für Protestwähler aus allen sozialen Schichten geworden ist. Wahlpolitisch geht dies hauptsächlich auf Kosten der traditionellen Rechten, die immer mehr als Teil einer globalen Elite wahrgenommen wird und teilweise (vergeblich) den Erfolg der AfD mit weiterer Rechtsentwicklung aufzuhalten versucht. (CDU/CSU). Zum zweiten zeigt er sich in dem atem-beraubenden Niedergang des traditionellen Sozialreformismus, der SPD, die ihr „Klientel“ nicht mehr binden kann, weil sie sich an den herrschenden Neoliberalismus gebunden hat und keine glaubwürdige Alternative zum „weiter so“ bietet. Der dritte Prozess ist der weitere politische Aufstieg der bürgerlichen Modernisierer – von Grünen und FDP und auch Teilen der CDU – die den Modernisierungszwängen des Kapitalismus politischen Ausdruck geben und in den aufsteigenden sozialen Schichten mit Qualifikationsanspruch, Eigentumsinstinkt und kulturell-liberaler Orientierung verankert sind. Schließlich zeigt sich viertens eine Belebung sozialer Bewegungen: Dazu gehört eine große punktuelle Mobilisierungsfähigkeit in bestimmten Konfliktsituationen und zu einzelnen Themen, wobei dem betrieblich-gewerkschaftlichen Bereich nach wie vor große Bedeutung zukommt (wie der in dieser Zeitschrift erscheinende „Streikmonitor“ belegt). Wahlpolitisch profitiert die in diesen Bewegungen aktive Linkspartei nur sehr begrenzt, vor allem die Grünen werden als Bastion gegen die Rechtsentwicklung wahrgenommen.

Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen hat es auf der einen Seite – wenn man vom traditionellen rechts-links-Schema ausgeht – scheinbar keine großen Verschiebungen zwischen dem ‚linken‘ (SPD, Grüne, Linke) und dem ‚rechten‘ Lager (CDU, CSU, FDP, AfD) gegeben. Innerhalb dieser Lager aber hat es bedeutende Verschiebungen (insgesamt nach rechts) gegeben, was sich in den Verlusten von CDU/CSU und dem sich hieraus speisenden Zuwachs der AfD einerseits und dem Zuwachs der „Modernisierer“ (Grüne und FDP) auf Kosten der Sozialdemokraten andererseits ausdrückt. Insgesamt hat die Bindekraft der Parteien abgenommen, ob z.B. der Boom der Grünen dauerhaft sein wird ist durchaus unsicher.

Derzeit ist nicht absehbar, ob diese Verschiebungen zum vorzeitigen Ende der aktuellen GroKo führen werden. Bei Redaktionsschluss dieses Heftes (Anfang November) war noch völlig offen, wohin die heftigen Debatten und Konflikte innerhalb der Koalitionsparteien führen werden. Allein dieser Tatbestand verweist auf das Ausmaß der Erosionsprozesse.

Dies wird in Verbindung mit der Rolle linker Bewegungen eines der Themen in Z 117 (März 2019) sein.

Redaktion

1 Resolution des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie. Verabschiedet von der Mitgliederversammlung am 27. Sept. 2018 in Münster

2 Ebd.

3 Eine aktuelle Übersicht zu den wichtigsten Wortmeldungen findet sich auf der Homepage des Potsdamer ZZF, von dem einige Wissenschaftler sich ausdrücklich für die VDH-Resolution engagierten.

4 Patrick Bahners: Die Lehrer Deutschlands. In: FAZ vom 29.09.2018.

5 Dominik Geppert/Peter Hoeres: Gegen Gruppendruck und Bekenntniszwang. In: FAZ vom 12.10.2018.

6 Frank Bösch/Johannes Paulmann: Es geht um unsere Sache. In: FAZ vom 17.10.2018.

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