Marx-Engels-Forschung

Umstellungen im Feuerbach-Kapitel

Die neue Edition der „Deutschen Ideologie" in MEGA I/5

von Winfried Schwarz
März 2018

[1]

Zu Lebzeiten von Marx und Engels (M&E) wurden von den für eine zweibändige Publikation vorgesehenen und heute noch erhaltenen achtzehn Texten nur die zwei gedruckt, die zu Recht wenig beachtet blieben. Dagegen lösten die ersten sieben Manuskripte des so genannten Feuerbach-Kapitels seit ihrer Erstveröffentlichung in Originalsprache 1926 alle denkbaren Rezeptionsvarianten aus. Es ist das Kapitel mit der positiven „Darlegung der materialistischen Geschichtsauffassung“ (Engels 1886), auch wenn diese in unfertigen Entwürfen enthalten ist, die über weite Strecken wörtlich belegen, dass Marx sie der „nagenden Kritik der Mäuse“ überlassen hat, angeblich, aber wenig glaubhaft, „willig“. Auch die neue Edition in der MEGA (vorweg: sie ist ausgezeichnet) konzentriert ihre Einführung auf diese „Texteinheiten“, auch wenn sie die „Deutsche Ideologie“ vollständig präsentiert.

Welche Manuskripte sind es, die Engels (fast immer er) zwecks Raumgewinn für Überarbeitungen auf der linken Spalte in der Mitte gefalteter Seiten niedergeschrieben hat („Grundtext“)? Zunächst gibt es Reinschriften (abgebrochene) von Einleitungen für I. Feuerbach. Das Hauptmanuskript selber besteht aus drei unfertigen Entwürfen, zu verschiedenen Zeiten zwischen Oktober 1845 und März 1846 entstanden, von Marx nachträglich für die Überarbeitung von 1 bis 72 paginiert. Die Seiten 3-7 und 36-39 sind nicht überliefert. Weiter zählen dazu zwei Fragmente, auf denen sich die Ziffern 3 und 5 in Engels‘ Schrift finden und als Seitenzahlen aufgefasst wurden. Schließlich gibt es eine Handschrift von Engels mit Exzerpten aus Feuerbachs „Philosophie der Zukunft“. Bereits als Druckvorlagen für den geplanten ersten Band liegen vor die polemischen Kapitel zu Bruno Bauer (II.) und Max Stirner (III). Die Originalmanuskripte hatte Eduard Bernstein aufbewahrt. Im Oktober 1923 wurden davon für das Moskauer Marx-Engels-Institut Fotografien erstellt, die der Erstpublikation zugrunde lagen, was die Entzifferung nicht leicht gemacht hatte. Dennoch verdankt ihnen auch die Neuveröffentlichung viel, weil sie die Originale in dem Zustand festhalten, der heute nicht mehr gegeben ist.

Hauptmanuskript und zwei Fragmente

Was steht in den drei Teilen des „Hauptmanuskripts“, die nachfolgend mit Ms.1, Ms.2 und Ms.3 abgekürzt werden?

Ms.1 (S. 1-29): Nach der Kritik Feuerbachs (im Sinne der ersten These „ad Feuerbach“), er kenne nur sinnliche Anschauung, nicht sinnliche Tätigkeit, entwickeln M&E ihre Auffassung von der materiellen Produktion als Grundlage aller Geschichte. Die sprunghafte Argumentation zeigt m.E. folgende Grundthesen: (a) Bewusstseinsformen wie Religion, Moral usw. entstehen aus der von der Produktionsweise erzeugten „Verkehrsform“ (der „bürgerlichen Gesellschaft“ in ihren verschiedenen Stufen) und können nicht durch „geistige Kritik“, sondern nur durch „praktischen Umsturz“ aufgelöst werden. (b) Die naturwüchsige Teilung der Arbeit, als deren Resultat den Individuen ihr eigenes Produkt „als fremde Macht“ gegenübertritt, wird durch „kommunistische Regelung der Produktion“ aufgehoben. (c) Die Klasse mit dem Bewusstsein der „Notwendigkeit einer gründlichen Revolution“, welche die „Herrschaft aller Klassen“ aufhebt, wird „hervorgerufen“, wenn Produktivkräfte zu „Destruktionskräften“ werden. Die letzte These ist nur als Ansatz vorhanden. Weitere Überlegungen zu den materiellen Voraussetzungen des Kommunismus finden sich erst in Ms.3. Der Schluss von Ms.1 ist eine erneute Kritik Feuerbachs, und zwar seines Begriffs des Kommunismus.

Ms.2 (S. 30-35) ist flüssig geschrieben und definiert die „herrschenden Gedanken“ als ideellen Ausdruck der Sonderinteressen der herrschenden Klasse. Ausgebildet werden Religion usw. durch „aktive konzeptive Ideologen“ (der Begriff taucht erstmalig auf), denen die Teilung der geistigen und materiellen Arbeit einen „Hauptnahrungszweig“ beschert. Der Schein der Gedankenherrschaft verschwinde, sobald die „Herrschaft von Klassen überhaupt aufhört“.

Das heterogene Ms.3 (S. 40-72) behandelt zunächst die Wirtschaftsgeschichte von der mittelalterlichen Stadt bis zur großen Industrie, periodisiert nach Stufen der Teilung der Arbeit. Diese wird nicht nur als Ursache der Verselbständigung der Verhältnisse gegen die Individuen begriffen, sondern zunehmend als Entwicklungsform der Produktivkräfte. Im Widerspruch „zwischen den Produktivkräften und der Verkehrsform“ haben „alle Kollisionen der Geschichte ihren Ursprung“. Wird die Verkehrsform zur Fessel, wird sie durch eine neue ersetzt. Die Aufhebung der Verkehrsform Privateigentum, für „gewisse industrielle Stufen“ eine „Notwendigkeit“, wird möglich, wenn die große Industrie „bereits sehr entwickelt“ ist und die Klasse geschaffen hat, die „bei allen Nationen dasselbe Interesse hat“. Die Schlussfolgerung wird am klarsten formuliert als nachträgliche Randbemerkung auf den Seiten 18/19 von Ms.1: Der Kommunismus ist die „wirkliche Bewegung“, welche den jetzigen Zustand aufhebt – eine „große Steigerung der Produktivkraft“ voraussetzend, weil sonst „nur die Notdurft verallgemeinert“ würde, und weil er nur als „Tat der herrschenden Völker ‚auf einmal‘ und gleichzeitig möglich“ ist.

Der letzte Teil von Ms.3 behandelt den Staat, und zwar nicht nur in Beziehung zur „bürgerlichen Gesellschaft“ (die als Entwicklung der Bourgeoisie historisch spezifiziert wird), sondern im Verhältnis zum Eigentum, genauer als „Organisation, welche sich die Bourgeoisie sowohl nach außen als auch an innen hin, zur gegenseitigen Garantie ihres Eigentums“ gibt. Gleiche Aussagen über Staat und Recht zum Eigentum sowie die historische Notwendigkeit des Privateigentums finden sich auch in der Stirner-Kritik „III. Sankt Max“.

Das Fragment 3.) definiert deutlicher als das Hauptmanuskript die Teilung der Arbeit als Form der Produktivkraft („Jede neue Produktivkraft … hat eine neue Ausbildung der Teilung der Arbeit zur Folge“). In der Hauptsache befasst sich das Fragment mit drei historisch aufeinanderfolgenden Eigentumsformen, nämlich Stammeigentum, antikes Staatseigentum und feudales Eigentum, die als Stufen der Teilung der Arbeit begriffen werden.

Fragment 5.) bestimmt lapidar und klarer als bisher die Abhängigkeit der Bewusstseinsformen vom materiellen Leben: „Sie haben keine Geschichte, sie haben keine Entwicklung.“ Es folgt der berühmte Satz: „Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein.“

Abweichungen von MEW Band 3

Wer die „Deutsche Ideologie“ aus dem blauen MEW-Band 3 kennt (was für die Mehrheit der Z-Leser*innen zutreffen dürfte), hat einen anderen Text im Gedächtnis. Er kennt ein relativ geschlossenes, durch Zwischenüberschriften gegliedertes Feuerbach-Kapitel, das zwar als „unvollendet“ bezeichnet wird und in Fußnoten oft Tilgungen und Randbemerkungen ausweist, aber von Beginn an klare Aussagen und Formulierungen präsentiert. Unterschiedliche Entwicklungsstufen in der Gedankenführung der Autoren sind nicht zu erkennen. Gewiss ist Derartiges nicht Aufgabe von Studienausgaben; dafür gibt es historisch-kritische. Allerdings steht auch eine solche vor editorischen Herausforderungen wie bei kaum einem anderen Marx- oder Engels-Text, was schon daran zu erkennen ist, dass die neue MEGA das Kapitel I. Feuerbach bereits in der achten Variante der Textanordnung seit Erstveröffentlichung präsentiert. Das geht weiter damit, dass der Titel „Deutsche Ideologie“ nicht in der Handschrift, sondern erst in einer Presseankündigung von Marx 1847 vorkommt, dass der Untertitel von I. Feuerbach „Gegensatz von materialistischer und idealistischer Anschauung“ eine Engels’sche Bleistiftnotiz von 1883 auf dem letzten Blatt ist, und dass es die gedruckten Zwischenüberschriften in der Handschrift gar nicht gibt.

Aus- und Eingliederungen

Noch viel bedeutsamer ist der Umstand, dass das im Druck zuerst wiedergegebene Kapitel I. Feuerbach keineswegs zuerst verfasst worden ist. Der Ausgangspunkt war nicht die Kritik Feuerbachs, sondern die Kritik an Bauer und Stirner, die M&E für den ersten Band einer neuen, vom Verleger zugesagten eigenen Vierteljahresschrift schrieben. Innerhalb ihrer Auseinandersetzung mit Stirner waren sie zum Nachdenken über eigene Positionen gezwungen, und sie beschlossen, nachdem sie etwa zwei Drittel der Stirner-Kritik niedergeschrieben hatten, der Auseinandersetzung mit den beiden Junghegelianern eine positive Darstellung ihrer Geschichtsauffassung voranzustellen. Diese wollten sie mit einer Kritik Feuerbachs verbinden, von dessen Positionen sie sich zunehmend entfernt hatten. Zu diesem Zweck nahmen sie zwei entsprechende Manuskriptteile aus „Sankt Max“ heraus und führten sie mit einer früheren Auseinandersetzung mit Bauer zusammen zu einem dreiteiligen Manuskript, das die Grundlagen von I. Feuerbach bilden sollte. Übereinstimmungen zwischen Ms.3 und Stirner-Kritik sind keine Übernahmen nach „III. Sankt Max“, sondern es ist umgekehrt.

Vor der Überarbeitung des neuen dreiteiligen Manuskripts mussten M&E zunächst die Lücken im Stirner-Kapitel mit neuem Text füllen, wofür sie Teile der Ausgliederungen wieder abschrieben, ihrer neuen Funktion angepasst. Vergleichbare Passagen in I. Feuerbach und III. Sankt Max sind daher kein Zufall. Sie vollendeten dann III. Sankt Max und stellten eine neue Kritik an Bauer zusammen (II. Sankt Bruno). Erst als diese beiden Kritiken als Druckvorlagen fertig und auf dem Weg zum Verlag waren, begannen Marx und Engels im Juni 1846 mit der Überarbeitung der drei „Ausgliederungen“ zu Kapitel I. Feuerbach, das sie dem Verlag nachreichen wollten.Marx markierte dafür die drei Manuskriptteile mit Seitenzahlen von 1 bis 72 und verfasste eine Einleitung, die als Reinschrift in drei unabgeschlossenen Varianten überliefert ist. Nicht lange nach Aufnahme der Überarbeitung kam die Nachricht vom Scheitern der Vierteljahresschrift. Den MEGA-Editoren zufolge wurde daraufhin die Arbeit an „I. Feuerbach“ eingestellt und nicht mehr fortgesetzt. Erst als im zweiten Halbjahr 1846 vorübergehend die Aussicht auf eine zweibändige Buchveröffentlichung bestand, verfasste Marx eine Vorrede (für beide Bände), bevor sich auch dieses Projekt zerschlug. Das sind die Gründe, warum das überlieferte Feuerbach-Kapitel, zu dem auch die zwei reingeschriebenen Fragmente 3.) und 5.) zählen, eine Sammlung von Manuskripten geblieben ist, die zwar alle zwischen Oktober 1845 und Juli 1846 entstanden sind, aber in unterschiedlichen Zusammenhängen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Die zeitliche Sequenz ist nicht Feuerbach-Bauer-Stirner, sondern Bauer-Stirner-Feuerbach und dann noch einmal Stirner und Feuerbach.

Die Wiedergabe in der neuen Edition

Die Entstehungsgeschichte des Feuerbach-Kapitels ist wahrlich verschlungen, und allen an ihrer Entschlüsselung Beteiligten gebührt Hochachtung. Die richtiggestellte Reihenfolge der einzelnen Manuskripte und Manuskriptteile wirft neues Licht auf die Argumentationsgänge, wie wir sie bisher kannten. Das ergibt sich schon aus der allgemeinen Weisheit, dass spätere Texte – oft – einen höheren geistigen Entwicklungsstand aufweisen als frühere, womit sich auch manches Rätsel löst, warum es im MEW-publizierten Feuerbach-Kapitel oftmals umgekehrt ist. Geistiger Fortschritt muss nicht, aber kann sich auch in aufeinanderfolgenden Bearbeitungsstufen innerhalb eines Manuskripts ausdrücken. Dafür sind „Variantenverzeichnisse“ da, die Aufschluss über Tilgungen, Einfügungen u. dgl. geben. Sie sind zähe Kost für Nutzer, allerdings durch moderne Darstellungstechniken (auf die ich hier nicht eingehe) zugänglicher geworden. Und: Zweispaltiger Druck im Textband gemäß der originalen Zweiteilung der Seiten ist darum so hilfreich, weil er die Randbemerkungen von Engels (der die linke „Grundschicht“ niederschrieb) oder von Marx unmittelbar sichtbar macht, indem er die längeren, besonders aussagekräftigen nachträglichen Einfügungen und Randnotizen direkt zeigt und nicht im Text verschwinden lässt. Der Apparat wird dadurch nicht überflüssig, sondern liefert weitere Erläuterungen, Datierungen, Autorenzuordnung usw. Ich frage mich allerdings, warum auf diese Weise nicht auch diejenigen Randbemerkungen dokumentiert werden, die Marx oder Engels zwar nicht als Ergänzungen separat vom Grundtext planten, aber als Einfügungen (mit Pfeilen u.dgl.) in den Grundtext erkennbar machten. Die Editoren haben solche Randbemerkungen in den Grundtext integriert.[2] Wäre anders nicht zusätzlicher Erkenntnisgewinn für den Nutzer?

Die MEGA I/5 repräsentiert den neuesten Forschungsstand, und die drei Bandbearbeiter haben diesen noch wesentlich erhöht. Gleichwohl fingen sie, als sie Editionsarbeit von den Vorgängern übernahmen, nicht bei null an, sondern konnten auf achtzig Jahre Editionsgeschichte aufbauen.

Editionsgeschichte I: 1926-1960

Die Erstveröffentlichung des Feuerbach-Kapitels in Originalsprache erfolgte 1926 durch das Moskauer Marx-Engels-Institut unter Leitung von D. Rjazanov, und zwar im ersten Band des „Marx-Engels-Archivs“ (MEA). Unter dem Titel „Der erste Teil der Deutschen Ideologie“ gibt es folgende Textanordnung: Einleitungen, Fragment 5.), Ms.1 und Ms.2 (zusammen unter der Überschrift A); Ms.3 getrennt unter B und C; Fragment 3.) im Anhang. Das Hauptmanuskript folgt der Marxschen Paginierung, ohne die Zahlen im Text. Die ersten Seiten in Marxscher Paginierung lagen noch nicht vor. Rjazanov fasste wohl die Nummer 5.) auf dem Fragment als fehlende Seite 5 auf und ordnete den Inhalt vor Ms.1 an. Fragment 3.) kam allerdings ans Ende, weil es „eine gedrängte Form der Zusammenfassung von umfangreichen Teilen des Hauptmanuskripts ist“. Tilgungen sind im laufenden Text markiert, Randbemerkungen in den Grundtext eingearbeitet, aber in Fußnoten ausgewiesen. Die Einführung beschreibt Einleitungen, Hauptmanuskript und Fragmente.

Schon sechs Jahre später (1932) erschien in MEGA1 I/5 die „Deutsche Ideologie“ mit sämtlichen Kapiteln, unterteilt von A bis J: Feuerbach, Leipziger Konzil, Sankt Bruno, Sankt Max, Schluss des Leipziger Konzils, Wahrer Sozialismus, Rheinische Jahrbücher, Karl Grün, und Georg Kuhlmann[3]. Die Ausgabe erfüllte bereits die meisten der modernen Editionsrichtlinien: Anordnung der Manuskripte nach Niederschrift des Grundtexts (soweit kein alternativer Autorenwille vorliegt), Druck des Textes in der Fassung „letzter Hand“, getrennter Apparat mit Varianten, Autorenangabe, Manuskriptbeschreibung, Angaben über redaktionelle Eingriffe, Quellen, Register. Das Kriterium Vollständigkeit (der damals bekannten Texte) wurde erfüllt, ebenso Originaltreue, diese allerdings nur in dem Sinne, dass kein (entzifferter) Text ausgelassen wurde. Speziell für das Feuerbach-Kapitel bedeutete Originaltreue aber nicht, dass innerhalb des Hauptmanuskripts der Text der Marxschen Paginierung folgte. Vielmehr wurden mehrere Umstellungen vorgenommen, wohl in der Absicht, die heterogenen Teilmanuskripte gemäß der Intention ihrer Autoren zu systematisieren.[4] Zu diesem Zweck wurden auch fünf Randbemerkungen zu Zwischenüberschriften aufgewertet und eingesetzt. Die originalen Seitenzahlen blieben im gedruckten Text erhalten, so dass wissenschaftliche Benutzer der Paginierung folgen konnten. Die Reihenfolge der Manuskripte unterschied sich von der MEA-Edition durch die Verlegung von Fragment 3.) aus dem Anhang in den Text vor 5.), was konsequent war, wenn beide Texte als fehlende Seiten des Hauptmanuskripts aufgefasst wurden, zumal sie beide Reinschriften sind. Neu in den Anhang aufgenommen wurden u.a. die Exzerpte „Engels über Feuerbach“. Der komplexe Zusammenhang der Feuerbach-Manuskripte mit der Stirner- und Bauer-Kritik war noch kein Thema.

Da die Marxsche Paginierung in den auf der MEGA1 aufbauenden russischen und deutschen Werkausgaben (MEW 3) wegfielen, wurde das theoretisch wichtigste Kapitel der „Deutschen Ideologie“ sowohl mit den Überschriften und Zwischentiteln als auch mit der von der Marxschen Paginierung abweichenden Textabfolge des Hauptmanuskripts, speziell in Ms.3 verbreitet (MEW-Auflage: über 200.000 Exemplare). Trotz der Hinweise auf den unvollendeten Status legten die Editionen eine größere Systematik als tatsächlich überliefert nahe. Diesen möglichen Eindruck wandelten die Einleitungen und Vorworte in Bestimmtheit um. Es heißt 1932 in der MEGA1-Einleitung: „Das … Manuskript ‚I. Feuerbach‘ enthält die erste systematische Darlegung ihrer historisch-philosophischen Auffassung der ökonomischen Entwicklungsgeschichte der Menschen.“ Vergleichbar das aus der russischen Werkausgabe in die 1958 erschienene MEW übernommene Vorwort: „In dieser umfangreichen Schrift kam die große revolutionäre Umwälzung, die Marx und Engels zu dieser Zeit mit der Schaffung einer wirklichen Wissenschaft von den Entwicklungsgesetzen in Natur und Gesellschaft vollzogen, klar zum Ausdruck.“[5]

Die Systematisierung wurde später nicht nur den Verfassern der Einleitung, sondern auch den wissenschaftlichen Texteditoren als gewollte politische „Kanonisierung“ unterstellt, wenn auch nicht Rjazanov selbst, der 1931 entlassen und verhaftet wurde[6], aber seinem Nachfolger Adoratskij, dem Unterzeichner der Einleitung. Dass dieser unter Druck handelte und versuchte, die MEGA „durch Anpassung der Vorworte an die doktrinäre Parteilinie weiterzuführen“, wie Sperl annimmt[7], ist nicht auszuschließen. Hecker setzt den Zeitpunkt der direkten politischen Eingriffe in die MEGA-Edition auf 1936 an: Noch 1932 habe es für den MEGA-Band I/7 (Neue Rheinische Zeitung) die spezielle Instruktion gegeben: „Erläuternde, kommentierende, deutende Anmerkungen dürfen nicht gebracht werden.“[8] Meine persönliche Meinung zu den politischen Vorworten aus der Zeit vor 1990 ist, dass sie kaum gelesen wurden, ihre Wirkung daher nicht überschätzt werden sollte[9].

Es ist hier nicht der Ort, die politischen Randbedingungen der ersten MEGA zu diskutieren[10]. Wer diese für sich genommen betrachtet, ohne Einleitung, kann ihr hohen Qualitätsstandard nicht absprechen. Es ist im Übrigen kein historisch-kritisches Herangehen, die Editionsrichtlinien von 1976 und 1993 an die 1932 erschienene MEGA anzulegen[11] und damit die Abweichung von der Paginierung, die ja keine innere Logik ausdrückt, und die Einfügung von gliedernden Überschriften zu verurteilen, zumal im Apparat sowohl die Paginierung ausgewiesen als auch die Überschriften als redaktionelle benannt wurden, so dass der originale Zustand der Handschriften für die (kleine) Zielgruppe der Marx-Engels-Forscher rekonstruierbar blieb.

Editionsgeschichte II: 1960-1972

Im Jahr 1960 entdeckte Siegfried Bahne im Amsterdamer Institut für Sozialgeschichte (IISG), wo der Marx-Engels-Nachlass aufbewahrt wird, drei Originale, die als fehlende Seiten 1, 2 und 29 von Ms.1 identifiziert werden konnten. Auch stellte er Entzifferungsfehler in der MEGA1 fest. Bahnes Publikation führte dazu, dass das Moskauer IML das Feuerbach-Kapitel überarbeitete, die drei Seiten integrierte und 1965 in der Zeitschrift „Fragen der Philosophie“ auf Russisch nach der Marxschen Paginierung publizierte. Für die Umstellung in der MEGA wurde „keine ausreichende Begründung“ gesehen.[12] Darauf gestützt veröffentlichte die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ 1966 das Kapitel in Originalsprache, nach Marxscher Paginierung, ohne redaktionelle Überschriften, nur in Abschnitte gegliedert: [1] für die Einleitungen und Fragmente, [2] – [4] für das Hauptmanuskript. Die Edition wurde von Inge Taubert vorbereitet. Ihr war nicht entgangen, dass die Manuskripte „zu verschiedener Zeit und in unterschiedlichem Zusammenhang geschrieben wurden“. Allerdings erlaubte es der damalige Forschungsstand noch nicht, die komplexe Genese des Hauptmanuskripts umfassend zu dechiffrieren.[13]

1965 erschien in Westdeutschland die „Deutsche Ideologie“, besorgt von Hans-Joachim Lieber.[14] Seine Hauptquelle waren zwar MEGA und MEW, sein Feuerbach-Kapitel folgte aber bereits der Marxschen Paginierung und enthielt die drei neuen Seiten. Im IISG hatte er Zugang zu den Handschriften erhalten, was Forschern aus der DDR und UdSSR bis dato nicht möglich gewesen war. In welchem Umfang er im IISG über neue Entzifferungen informiert wurde, geht aus seinem Nachwort nicht eindeutig hervor.[15] Sein Hauptverdienst ist editionstechnisch. Er gab die Randbemerkungen auf den Ms.1-Seiten 17-19 in zweispaltigem Druck wieder, eine Methode, die alle nachfolgenden textkritischen Editionen für das ganze Hauptmanuskript übernahmen.

Editionsgeschichte III: 1972 bis heute

In der dritten Phase der Editionsgeschichte ist die Marxsche Paginierung des Hauptmanuskripts kein Streitpunkt mehr. In den Mittelpunkt des Interesses rücken die relative Selbständigkeit aller überlieferten Manuskripte des Feuerbachkapitels und ihre uneinheitliche Entstehung.

Ab 1965 wurde eine neue MEGA vorbereitet und bis 1972 ein „Probeband“ für ausgewählte Institute und Experten zur Begutachtung erstellt (Auflage: 600). Er enthielt an erster Stelle das Feuerbach-Kapitel in neuer Bearbeitung. Das IISG hatte umfassende Einsichtnahme in die Originale gewährt, so dass die Veröffentlichung (unter Leitung von Inge Taubert) in neuer Entzifferung erschien.[16] Hauptzweck des Bands war die Diskussion der Editionsgrundsätze. Daher standen Präsentationsfragen im Vordergrund: Zweispaltendruck und ausführlicher Apparat (108 Seiten für 88 Seiten Text) mit Variantenverzeichnis in neuer Qualität. Die Textanordnung war nicht grundsätzlich neu: Zuerst die „Reinschriften“ (zwei Einleitungen und die zwei Fragmente), dann das dreiteilige Hauptmanuskript. Aber sie wurden als sieben eigenständige Manuskripte und ohne Zwischentitel präsentiert. Das sollte den fragmentarischen Charakter des Kapitels sichtbar zu machen, das allerdings weiterhin unter dem Titel „I. Feuerbach“ zusammengefasst wurde.

Der Probeband war zwar nicht allgemein zugänglich, diente aber Spezialisten über dreißig Jahre lang als beste historisch-kritische Grundlage des Feuerbach-Kapitels. Das Editionsprinzip der Vereinzelung der Manuskripte wurde in den nachfolgenden Editionen weitgehend übernommen.

Eine neue Etappe der Editionsgeschichte folgte aus einer Erkenntnis aus der Arbeit für die ersten beiden Briefbände der MEGA, die 1975 und 1979 erschienen und nicht nur „Briefe von“, sondern auch „Briefe an“ Marx und Engels enthielten. Das Moskauer IML (Galina Golowina) fand heraus, dass die „Deutsche Ideologie“ nicht wie bisher angenommen von vorneherein als separate zweibändige Buchausgabe geplant war, zusätzlich zu einer Vierteljahreschrift, sondern dass es eben diese zweibändige Vierteljahresschrift war, worin die „Deutsche Ideologie“ erscheinen sollte. Erst später, nach ihrem Scheitern, wurde eine Separatausgabe ins Auge gefasst, die aber, wie oben bemerkt, gleichfalls scheiterte.

Die Hinweise in den Briefen auf die „zwei Bände“ wurden neu verstanden. „In der Folge“, heißt es in der Einführung zur MEGA2 I/5, „konnten damit auch die Veränderungen, welche die Manuskripte im Zuge der Arbeit durchlaufen haben, in ihrer Gänze erfasst werden“. (S. 793).

Neue Anordnung im Marx-Engels-Jahrbuch 2003

Die Arbeit für die Edition der „Deutschen Ideologie“ wurde 1992 aus bekannten Gründen unterbrochen. Erst 2004 erschien im neuen „Marx-Engels-Jahrbuch 2003“ eine Vorabpublikation, wiederum des Feuerbach-Kapitels, ergänzt durch die Bauer-Kritik, wieder unter Leitung von Inge Taubert, auf deren Expertise auch unter neuen Verhältnissen nicht verzichtet wurde. Die Besonderheit war die strikt chronologische Anordnung aller einzelnen Manuskripte und unabhängig von möglichem Autorwillen. Die Absicht war, die Gedankenentwicklung von M&E noch besser nachvollziehbar zu machen als ausschließlich mittels Variantenverzeichnis. Einleitungen etwa, weil später verfasst, werden nicht mehr vorne positioniert, sondern hinten; ebenso der später entstandene Titel I. Feuerbach. Im Detail beschrieben wird der komplexe Prozess der Entstehung von Ms.1 aus der ersten Bauer-Kritik und der Verlegung ihres Rests nach „Sankt Bruno“.

Knapp fällt dagegen die Bestimmung von Ms.2 und Ms.3 als Teile von „Sankt Max“ aus, wohl deswegen, weil die Publikation vor III. Sankt Max aufhört; vielleicht nicht zufällig. Denn M&E hatten dieses Kapitel zu zwei Dritteln fertig, bevor sie Teile daraus als Ms.2 und Ms.3 ausgliederten. Rein chronologische Darstellung müsste zwangsläufig die zwei Manuskripte mitten in die Stirner-Kritik verlegen, somit von Ms.1 trennen und „Sankt Max“ auseinanderreißen. Die damit verbundene Unübersichtlichkeit war für MEGA2 I/5 sicher ein Grund, den Ansatz der strikten Chronologie nicht zu übernehmen.

Tabelle siehe PDF!

Textanordnungen des Feuerbach-Kapitels. Die Fragmente 3.) und 5.) stehen ab Marx-Engels-Jahrbuch 2003 am Schluss, ausgenommen Fragment 3.) im Marx-Engels-Archiv 1926. Die drei Teile des Hauptmanuskripts folgen der Marxschen Paginierung: 1-29, 30-35, 40-72/73 mit Ausnahme der ersten MEGA und der darauf gründenden MEW. Zu weiteren Details siehe den Text.

Aus meiner Sicht ist das Hauptverdienst von MEJ 2003 ein anderes, nämlich dass die beiden Reinschrift-Fragmente erstmals hinter das Hauptmanuskript gestellt werden und nicht mehr an den Anfang, wie das in sämtlichen Editionen seit Rjazanov für Fragment 5.) und seit der ersten MEGA auch für Fragment 3) der Fall gewesen war. Die Neupositionierung resultiert dabei keineswegs aus dem chronologischen Prinzip als solchem, sondern aus neuer Hypothese zur relativen Datierung der Abfassung. In MEJ 2003 nur eine Annahme, wird daraus in MEGA2 I/5 weitgehende Gewissheit.

Begründungen in der neuen MEGA 2017

Dreizehn Jahre nach der Vorabpublikation der ersten beiden Kapitel erschien die MEGA2 I/5 als erste Neupublikation der „Deutschen Ideologie“ seit 1932 mit sämtlichen für die zweibändige Vierteljahresschrift vorgesehenen und überlieferten Kapiteln. In den Jahren seit 2005 wurde sie nicht nur ab „Sankt Max“ völlig neu entziffert (S. 165 bis 700), sondern es wurde auch die Entschlüsselung der komplizierten Entstehung des Feuerbach-Kapitels untermauert und stellenweise neu begründet und datiert. Die Textanordnung ist chronologisch, sofern, wie bei Einleitungen, kein anderer Autorenwille erkennbar ist; die selbständigen Einheiten des Hauptmanuskripts, deren Verwendungsabsicht unter I. Feuerbach zweifelsfrei ist, folgen der Marxschen Paginierung. Danach erst die beiden Fragmente, entsprechend ihrer Abfassungszeit.

Erstmals wird die Position der Fragmente 3.) und 5.) hinter dem Hauptmanuskript begründet, und zwar auf indirektem Weg über ihren Inhalt. Das Fragment 3.) muss zeitlich u.a. deswegen nach Ms.3 verfasst worden sein, weil erst in ihm das antike Staatseigentum vom vorausgehenden Stammeseigentum getrennt wird, während es im Ms.3 selbst noch eine Unterform des Stammeseigentums war. Die ungewöhnlich präzise Auffassung der Ausbildung der Teilung der Arbeit als Folge neuer Produktivkraft, die sich in allen Editionen vor 2003 am Anfang des Hauptmanuskripts befindet, ist das Resultat falscher chronologischer Bestimmung. Damit löst sich das Rätsel, warum das Feuerbach-Kapitel in seinem Verlauf an begrifflicher Schärfe verloren hatte.

Wie im Falle von Fragment 3.) lässt sich auch eine Anordnung von Fragment 5.) hinter dem Hauptmanuskript inhaltlich belegen, u.a. durch Überschneidungen mit dem vorher verfassten Stirner-Kapitel. Die Formulierung zu den Bewusstseinsformen „sie haben keine Geschichte“ findet sich bereits dort, auf die Religion bezogen. Ebenfalls im Stirner-Kapitel gibt es eine Entsprechung zum Satz über die Determinierung des Bewusstseins: „Es liegt nicht am Bewusstsein, sondern am Sein; nicht am Denken, sondern am Leben.“

Die Neuanordnung ist für mich überzeugend. Und sie hat aus meiner Sicht eine größere Tragweite für das Verständnis der Gedankenentwicklung im Feuerbach-Kapitel als die Rückkehr zur Marxschen Paginierung in den 1960er Jahren, die sich im Wesentlichen auf Ms.3 beschränkte und den Nachvollzug der Argumentationsentwicklung weniger beeinträchtigt hat. Dass Rjazanov bis 2003 der einzige gewesen ist, der jemals, nämlich 1926, das Fragment 3) hinter das Hauptmanuskript platziert hat, spricht für ihn. Nicht aber seine Anordnung von Fragment 5), die von der ersten MEGA übernommen und erst in der zweiten MEGA begründet korrigiert wurde. Wobei es keineswegs auszuschließen ist, dass er selbst die Anordnung in der MEGA vorgenommen hat.

Berücksichtigte Editionen des Feuerbach-Kapitels seit 1926

Marx und Engels über Feuerbach. Der erste Teil der „Deutschen Ideologie“. Die Handschrift und die Textbearbeitung. In: Marx-Engels-Archiv. Hrsg. von D. Rjazanov. Bd. 1. Frankfurt a. M. [1926]. Unveränderter Neudruck der Ausgabe von 1928, Frankfurt 1969, S. 205-306.

Marx-Engels-Gesamtausgabe, Erste Abteilung Band 5: Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten. 1845-1846, Berlin 1932, 706 Seiten.

Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten. Marx-Engels-Werke. Bd. 3, Berlin 1958, 612 Seiten.

Neuveröffentlichung des Kapitels I des I. Bandes der „Deutschen Ideologie“ von Karl Marx und Friedrich Engels. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Jg. 14, 1966, S. 1192–1254.

Karl Marx, Friedrich Engels. Die deutsche Ideologie. I. Band. Kapitel I. Feuerbach. Gegensatz von materialistischer und idealistischer Anschauung, in: [MEGA2] Probeband. S. 31–119 und S. 399–507.

I. Feuerbach. Gegensatz von materialistischer und idealistischer Anschauung, in: Karl Marx: Frühe Schriften. Band II. Hrsg. Hans-Joachim Lieber und Peter Furth Darmstadt 1971, S. 7-97. Nachwort Berlin 1965, S. 885-890.

Karl Marx, Friedrich Engels, Joseph Weydemeyer, Die Deutsche Ideologie. Artikel, Druckvorlagen, Entwürfe, Reinschriftenfragmente und Notizen zu I. Feuerbach und II. Sankt Bruno, in: Marx-Engels-Jahrbuch 2003, Hrsg. Internationale Marx-Engels-Stiftung Amsterdam, Berlin 2004, 400 Seiten.

Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA). I. Abt., Bd. 5: Karl Marx/Friedrich Engels: Deutsche Ideologie. Manuskripte und Drucke. Bearbeitet von Ulrich Pagel, Gerald Hubmann und Christine Weckwerth (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften). Hrsg. Internationale Marx-Engels-Stiftung (IMES) Amsterdam, Berlin/Boston 2017, 1894 Seiten.

[1] Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA). I. Abt., Bd. 5: Karl Marx/Friedrich Engels: Deutsche Ideologie. Manuskripte und Drucke. Bearbeitet von Ulrich Pagel, Gerald Hubmann und Christine Weckwerth (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften). Hrsg. Internationalen Marx-Engels-Stiftung (IMES) Amsterdam. Berlin/Boston: De Gruyter Akademie Forschung 2017. Text und Apparat. XII, 1894 Seiten. 219 Euro.

[2] Ms.-Seite 25 ist als Faksimile mit derartigen Randbemerkungen wiedergegeben, über die ich im Apparat keine Informationen finden konnte. Außerdem: Für die wichtigen als eigenständiger Text erkennbaren Bemerkungen auf der rechten Spalte der Ms.1-Seiten 17 bis 19 (MEGA I/5, 33.39 bis 39.22) fand ich nur partiell relative Datierungen. Wenn diese nicht vollständig erbracht werden konnten, sondern rein spekulativ wären, sollte das mitgeteilt werden.

[3] Im Wettlauf mit der MEGA war ein paar Monate früher Landshut/Meyer eine Publikation der „Deutschen Ideologie“ gelungen (bei Kröner in Leipzig), die weder wissenschaftlichen Apparat enthielt noch vollständig war: ohne „II. Sankt Bruno“, ohne „IV. Karl Grün“ und nur mit Teilen des Stirner-Kapitels. Das Feuerbach-Kapitel orientierte sich an Rjazanovs MEA mit identischer Ms.-Anordnung. Sie wird in diesem Artikel nicht berücksichtigt.

[4] Ich fand folgende Seitenumstellungen gegenüber der Marxschen Paginierung: In Ms.1 sind es zwei Umstellungen: 11-19 wird durch 68 (aus Ms.3) ergänzt, und 8-10 und 20/21 werden hinter 21-28 gesetzt. Die erste Maßnahme führt die Passagen über die bürgerliche Gesellschaft, die zweite die Passagen über Feuerbach zusammen. Ms.2 ist unverändert. Das Ms.3 wird in vier Abschnitte nach inhaltlichen Gemeinsamkeiten gegliedert, was zu folgenden Blöcken führt: 41-55// 69-72// 63-64// 40, 64-68, 22 //59-62, 52,55,58,55-57.

[5] Aufgrund des Prinzips, dass Neuausgaben der MEW auf der MEGA2 gründen sollen, enthält die heute lieferbare MEW 3 noch das Vorwort von 1958.

[6] Er wurde nach den 1936 einsetzenden „Säuberungen“ 1938 hingerichtet.

[7] Richard Sperl, Zur Editionsgeschichte des literarischen Nachasses von Karl Marx und Friedrich Engels, marx200, 15. September 2016.

[8] Rolf Hecker, Rjazanovs Editionsprinzipien der ersten MEGA. In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 1/1997, S. 25.

[9] Ich neige zur Meinung Marxhausens: „Es ist kaum anzunehmen, die Nutzer der früheren Bände hätten sich von den Einleitungen suggerieren lassen, wie sie Marx und Engels zu verstehen haben“. Thomas Marxhausen, „MEGA-MEGA“ und kein Ende, in: UTOPIE kreativ, H. 189/190 (Juli/August 2006), S. 613/614.

[10] Dazu ausführlich: Carl-Erich Vollgraf, Richard Sperl und Rolf Hecker, Stalinismus und das Ende der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe (1931–1941), in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 3, Berlin-Hamburg 2001.

[11] Auch die „Einführung“ zur neuen MEGA I/5 ist hier nicht ganz frei von Interpretation. Es heißt darin: „Die Manuskripte zur ‚Deutschen Ideologie‘ wurden in der ersten MEGA somit zu einem Werk kompiliert, das kanonischen Charakter beanspruchen sollte.“ (S. 790) Diese Behauptung hätte vom historisch-kritischen Standpunkt nur Berechtigung, wenn das Subjekt der Absicht („sollte“) mit Namen genannt würde. Aber zugegeben, es handelt sich hier um eine vergleichbar „weiche“ Version der Interpretation.

[12] Die neue russische Edition wurde Grundlage der englisch-sprachigen „Collected Works“, vol. 5, London 1975, p. 16-661 (vorher: Moskau 1969).

[13] Sie merkt richtig an, dass Ms.2 aus der Stirner-Kritik stammt und sieht auch, dass im Ms.1 gestrichener Text in Sankt Bruno „aufgenommen“ wurde. Sie räumt zu Ms.3 aber ein: „Anhand des Manuskripts lässt sich nicht rekonstruieren, dass diese Bogen ursprünglich zum Kapitel III „Sankt Max“ gehörten“ (S. 1254). Und, wie wir heute wissen, gab es auch bei der Bauer-Kritik nicht nur Aufnahmen, sondern auch Abgaben von Text.

[14] Angesichts dessen, dass Lieber in die westdeutsche Marx-Debatte die Mantras Marx gegen Engels und junger Marx gegen alten Marx miteinführte, hat mich bei der Lektüre des Nachworts zu seiner Publikation die Sachlichkeit überrascht, mit der er sich (mitten im kalten Krieg) über die Editionsgeschichte der Deutschen Ideologie äußert (S. 885 ff.). Lieber wurde übrigens 1965 Rektor der FU-Berlin, was zeigt, dass damals zu beiden Seiten der Mauer Universitäten bevorstehen konnte, wer sich positiv zu Marxtexten geäußert hatte.

[15] Anekdote am Rand. Lieber bemerkt zu der im selben Jahr 1932 wie die MEGA1 erschienenen Ausgabe von Landshut/Mayer, dass das berühmte Zitat „…morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren“ falsch entziffert ist. Statt „nach dem Essen zu kritisieren“ heißt es dort „auch das Essen zu kritisieren“. (Lieber, S. 36).

[16] Im Probeband wird u.a. entdeckt, dass es in der MEGA1 (S. 34) zu Feuerbach fälschlich heißt: „Gibt keine Kritik der Lebensverhältnisse“. Neu entziffert heißt es „Liebesverhältnisse“. Der Sexualwissenschaftler E. Bornemann, der davon erfahren hatte, warf in seinem Buch „Das Patriarchat“ (Frankfurt 1983, S. 12) den „Schriftgelehrten“ vor, dass sie fast ein halbes Jahrhundert lang „am liebsten vertuscht hätten“, dass Marx von uns „eine historisch-materialistische Kritik der Entwicklung der menschlichen Liebesverhältnisse“ verlangt hat. Auf diese originelle Interpretation hat Michael T. Koltan hingewiesen. Sh.. ders. (2008), Die Editionsgeschichte der „Feuerbach-Manuskripte", http://www.trend.infopartisan.net/trd0108/trd100108.html.

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