Der Euratom-Vertrag im Jahre 2011

von Dieter Kaufmann
Dezember 2011

Der EURATOM-Vertrag ist eine politische Absurdität. In der EU setzen gegenwärtig 14 von 27 Staaten auf Atomenergie. Die öffentliche Meinung in Europa lehnt mehrheitlich den Ausbau der Atomenergie ab. Einige Mitgliedsstaaten haben den Ausstieg aus der Atomenergie bereits vollzogen oder sind erst gar nicht in die Atomwirtschaft eingestiegen. Unbeschadet dessen bleiben die 27 EU-Staaten weiterhin Mitglieder einer Gemeinschaft, deren Ziel die „schnelle Bildung und Entwicklung der Nuklearindustrie“ ist. Nach über einem halben Jahrhundert seines Bestehens scheinen sowohl Politiker als auch EU-Bürger diesen Vertrag vergessen zu haben – nicht aber die Atomindustrie und die ihr verbundenen Atomforscher. Mit dem angeblichen Beitrag der Atomenergie zum Klimaschutz sollen heute alte Privilegien und Subventionen gesichert werden.

Anfang Juni 1955 wurde eine Kommission eingesetzt, die in ihrem Bericht vom 21. April 1956 die Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zur Verbesserung des Handels sowie einer Europäischen Atomgemeinschaft zur „friedlichen“ Nutzung der Atomenergie empfahl. Im März 1957 lagen die Verträge nach Verhandlungen zwischen den sechs Gründungstaaten (Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Italien und die Benelux-Staaten) unterschriftsreif vor. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass Erdöl die Kohle ablösen würde. Öl galt damals als „sauberer“ Energieträger. Die Atomenergie sollte zu einer weiteren „sauberen“ Energiequelle werden. Die Problematik der Endlagerung von Atommüll fand damals überhaupt keine Berücksichtigung. Sicherheitsbedenken, Terrorgefahr, Erdbeben, menschliches Versagen (Menschen machen immer Fehler) und Kriegseinwirkungen wurden als so genanntes „Restrisiko“ abgetan.

EURATOM als Grundstein des europäischen Integrationsprozesses

EURATOM und EWG bilden zusammen mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) die drei Europäischen Gemeinschaften (EG). Der Kompetenzbereich von EURATOM erstreckt sich auf die „friedliche“ Nutzung der Atomenergie. Die EWG-Verträge traten nach erfolgreicher Ratifizierung durch die sechs Gründungsstaaten am 1. Januar 1958 in Kraft.

Laut Vertrag ist es Aufgabe von EURATOM, in der Europäischen Union (EU) „die zivile Atomwirtschaft zu kontrollieren und die Atomforschung und Atomtechnik zu fördern. Durch Sicherheitsnormen muss sie für den Gesundheitsschutz der Arbeitskräfte und der Bevölkerung sorgen. Im Rahmen des Vertrages über die Nichtverbreitung von Atomwaffen ist EURATOM für Sicherungsmaßnahmen zuständig und gibt über Europa hinaus technische Hilfe für Entwicklungsländer.“ (EURATOM-Vertrag, Artikel 2) Der EURATOM-Vertrag erklärt insbesondere die Vergabe von finanziellen Beihilfen und die Investitionsförderung sowie Informationsaustausch und die Versorgung der Mitgliedstaaten mit Nuklearbrennstoffen zu zentralen Tätigkeitsfeldern. Am 1. Juli 1967 wurden die Organe von EURATOM, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zur Europäischen Gemeinschaft (EG) verschmolzen. Seit dem Vertrag von Maastricht (1993) ist EURATOM ein Teil der heutigen Europäischen Union.

EURATOM überlebt Verfassungs- und Reformdebatten der EU

Während der Montanvertrag für Kohle und Stahl (EGKS) vertragsgemäß im Jahre 2002 auslief, wurde der EURATOM-Vertrag nie geändert oder an eine sich verändernde Gesellschaft angepasst. Die EU-Verfassung von 2002/2003 übernahm den EURATOM-Vertrag unverändert als „Anhang“.[1]

Der Verfassungsvertrag ist bisher von 18 EU-Mitgliedstaaten angenommen worden, wurde jedoch in Frankreich und den Niederlanden im Frühjahr 2005 durch die Bevölkerung in Abstimmungen abgelehnt. Im EU Maastricht Vertrag 2003 wurde die in den genannten Volksabstimmungen abgelehnte EU Verfassung weitestgehend übernommen.

Fünf Mitgliedstaaten (Deutschland, Irland, Österreich, Schweden, Ungarn) unterzeichneten 2003/2004 eine Erklärung, in der sie EURATOM als nicht mehr zeitgemäß bezeichneten und „so bald wie möglich“ eine Revision des EURATOM-Vertrages forderten[2]; ernsthafte Maßnahmen in dieser Richtung sind jedoch nicht bekannt geworden.

Da der EURATOM-Vertrag ein EU-Gründungsvertrag ist, wirkt er unabhängig vom EU-Ministerrat und vom Europäischen Parlament. Die Entscheidungen dürften von einem kleinen Kreis in der EU-Kommission und von der Atomlobby bestimmt werden. Der EURATOM-Vertrag ist weitgehend vor kritischen Prüfungen durch das Europäische Parlament geschützt, da dieses EURATOM gegenüber keine Mitentscheidungsrechte, sondern ausschließlich eine beratende Funktion besitzt. Die Tatsache, dass die alleinige Verantwortung für die Vergabe der EURATOM-Kredite bei der Europäischen Kommission liegt, ohne Kontrolle des Parlamentes, aber auch ohne Kontrolle des Europäischen Rates, unterstreicht das undemokratische Wesen des alten EURATOM-Vertrages von 1957. Das EU Parlament konnte von den EU Bürgern erstmalig 1979 gewählt werden. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 ging die Europäische Gemeinschaft in der Europäischen Union auf. Damit bleibt nur der EURATOM-Vertrag als eigenständige Organisation bestehen; er wurde mit seinen Strukturen nur an den Lissabon-Vertrag der EU angepasst.

Aktivitäten von EURATOM

EURATOM-Kredite

Angesichts zurückgehender Investitionen in den Bau neuer Atomanlagen Mitte der siebziger Jahre stellte der Europäische Rat der Kommission 1977 Mittel für die Vergabe von EURATOM-Krediten zur Verfügung. Diese zinsgünstigen Kredite können von Industrieunternehmen der Nuklearbranche für den Bau von Atomanlagen bei der Kommission (Generaldirektion Wirtschaft) beantragt werden. In den Jahren 1978 bis 1988 machten Firmen in Frankreich, Deutschland, Belgien, Italien und anderen Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch und erhielten ca. 50 Kredite in einer Gesamthöhe von 2,8 Mrd. Euro.[3] Doch seit 1989 blieben die Anträge auf Gewährung eines EURATOM-Kredites mangels Bauvorhaben aus. 1994 wurde per Ratsentscheidung das Tätigkeitsfeld für EURATOM-Kredite auf Projekte europäischer Firmen zur „Verbesserung der Sicherheit und Effizienz von Atomkraftwerken“ in Osteuropa ausgedehnt. Am 6. November 2002 hatte die EU-Kommission beschlossen, den EURATOM-Kreditrahmen von bisher 4 auf 6 Mrd. Euro zu erhöhen.[4]

Amt für Sicherheitsüberwachung

Mit dem Ziel der Kontrolle der Verwendung von Kernmaterialien zu friedlichen Zwecken ist in Luxemburg das Amt für EURATOM-Sicherheitsüberwachung entstanden. Dieses Amt, das der Generaldirektion Energie unterstellt ist, hat die kaum lösbare Aufgabe, mittels Buch- und Lagerprüfungen die Verwendung der auf dem Territorium der EU befindlichen 530 t Plutonium, 9,8 t hoch angereicherten und 313.000 t schwach angereicherten Urans zu überwachen. Dieses Material verteilt sich auf die zirka 800 kerntechnischen Anlagen in der EU.[5] Die Betreiber von Atomanlagen übermitteln pro Jahr mehr als 1,5 Mio. Meldezeilen über Lagerbestände und Bestandsänderungen. Da sich das Amt für EURATOM-Sicherheitsüberwachung auf die Angaben der Betreiber verlassen muss, stellt es in der Regel keine Unterschlagung von Atommaterial fest. Obwohl die so genannten Wiederaufarbeitungsanlagen von Sellafield (Großbritannien) und La Hague (Frankreich) gigantische Mengen von Plutonium lagern (mehr als 125 t oder 75 Prozent des abgetrennten zivilen Plutoniums in der EU) und die Entwendung der winzigen Menge von zirka fünf Kilogramm für den Bau einer Atomwaffe ausreichen würde, sind von EURATOM in 50 Jahren nur jeweils eine viertägige Überprüfungsinspektion in Sellafield (Dezember 1993) und eine Überprüfungsinspektion in La Hague (Juli 1996) von einem vierköpfigen Team durchgeführt worden.

EURATOM-Forschung

Für das derzeit laufende 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (2007-2013) ist ein Gesamtbudget von rund 54 Mrd. Euro eingeplant. Davon werden rund 5 Mrd. Euro für die Aktivitäten von EURATOM zur Verfügung gestellt. Trotz der großen Herausforderungen, vor denen der europäische Energiemarkt mit dem weltweit wachsenden Energieverbrauch sowie der Notwendigkeit zur Verhinderung einer Eskalation des Klimawandels steht, sind nur rund 4 Prozent des Gesamtbudgets (2,350 Mrd. Euro) des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms für die so genannte nicht-nukleare Energieforschung vorgesehen, darunter Kohleforschung und CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken. Davon wiederum geht nur ein kleiner Teil in die Forschung für mehr Energieeffizienz und Erneuerbare Energien. Dem stehen 5,25 Mrd. Euro für die nukleare Forschung gegenüber. Mit den Euratom-Forschungsrahmenprogrammen gibt die EU jährlich Milliarden für die Nuklearenergieforschung aus.

Die Kernfusion im Forschungsprogramm der EU

Davon gehen rund 2 Mrd. Euro in die Fusionsforschung – hauptsächlich in den Forschungsreaktor ITER, der im südfranzösischen Cadarache gebaut wird. Daran beteiligt sind EURATOM (mit der Schweiz), Japan, Russland, China, Südkorea, Indien und die USA. Rund 10 Mrd. Euro soll ITER insgesamt kosten. Damit wird eine Energieform gefördert, die mit enormen Sicherheitsrisiken verbunden ist. Kürzlich zog das International Panel on Fissile Materials, eine an die Princeton University angegliederte Gruppe von Nuklearexperten, eine ernüchternde Bilanz: „Nach sechs Jahrzehnten und mehreren zehn Milliarden ausgegebenen US Dollar bleibt das Versprechen von Brutreaktoren weitgehend unerfüllt.“[6] Keine der Annahmen, die das Konzept einst sinnvoll erscheinen ließen, habe sich bewahrheitet: Brüter seien prinzipiell unwirtschaftlich, unzuverlässig und gefährlich.

Christoph Pistner vom Ökoinstitut in Darmstadt hält die Fusions-Brüterprojekte, ganz abgesehen von Sicherheitsbedenken, für unrealistisch: „Diese Konzepte sind seit 30 Jahren in der Entwicklung, es ist nicht absehbar, wie eines davon zu einem zuverlässigen System führen soll“, sagt er. „Das kommt nicht mehr rechtzeitig, denn der Umbau des Energiesystems beginnt jetzt.“[7] Damit ist von der Fusionstechnik in absehbarer Zeit kein Beitrag zum Klimaschutz oder der Versorgungssicherheit zu erwarten, da die kommerzielle Nutzung – wenn überhaupt – noch Jahrzehnte in der Zukunft liegt. Die Kernfusion gilt bei ihren Befürwortern als die möglicherweise wichtigste Energieform der Zukunft. Bis zu einer möglichen industriellen Nutzung – um das Jahr 2060 – sind aber noch lange Testserien nötig. Pikanterweise haben die gleichen Experten bereits vor 30 Jahren schon einmal festgestellt, die kommerzielle Nutzung der Kernfusion sei nur zirka 50 Jahre entfernt, was die Vermutung nährt, dass man trotz der Forschungsmilliarden von einer kommerziellen Nutzung der Kernfusion auch in fernerer Zukunft stets 50 Jahre entfernt bleiben wird – massenhafte Geldvernichtung für eine verfehlte Energiepolitik, die nach wie vor auf Großtechnologie setzt zum Wohle der privatwirtschaftlichen globalisierten Energiekonzerne.

Eine Konstante der Fusionsforschung ist, dass man die Schwierigkeiten zur Zähmung des Fusionsfeuers permanent unterschätzt hat. Als die sieben ITER-Partner im November 2006 nach langem Tauziehen endlich den Vertrag zum Bau eines Versuchsreaktors unterzeichneten, gingen sie von Baukosten von 5 Milliarden Euro und einer Bauzeit von zehn Jahren aus. Der im vergangenen Jahr verabschiedete Finanzierungs- und Zeitplan zeigte jedoch, dass diese Zahlen weit an der Realität vorbeizielten. Die Baukosten werden inzwischen auf 16 Milliarden Euro geschätzt; der Beginn der Experimente wurde von 2016 auf November 2019 verschoben, und erst 2027 soll ITER mit Deuterium und Tritium beladen werden.[8]

Selbst dieser revidierte Zeitplan ist aber inzwischen hinfällig. Das schwere Erdbeben in Japan hat nämlich auch eine Testanlage der japanischen Atomenergiebehörde in Naka beschädigt. Hier hätten die supraleitenden Magnete von ITER sowie eine Vorrichtung zur Heizung des Plasmas getestet werden sollen. Die Gebäude, in denen sich die Testanlagen befinden, können derzeit nicht gefahrlos betreten werden, sagt Remmelt Haange, der technische Direktor von ITER, der kürzlich mit einer Delegation nach Japan gereist war, um den Schaden zu begutachten.[9]

Zwar wird die Testanlage in Naka laut Haange noch nicht unmittelbar benötigt. Es sei aber damit zu rechnen, dass sich auch die Produktion von wichtigen ITER-Komponenten in Japan verzögert. Deshalb würden gegenwärtig Überlegungen angestellt, einige der Aufgaben, etwa die Produktion von supraleitenden Kabeln, an andere Mitgliedsländer zu delegieren. In welchem Maße das ITER-Projekt dadurch zurückgeworfen wird, soll eine Arbeitsgruppe bis November 2011 klären. Haange rechnet jedoch mit einer Verzögerung von ein bis zwei Jahren. Der Forschungsreaktor kann jetzt ohnehin nicht weiter vorangebracht werden.

Das Ringen um die Finanzierung des ITER-Projekts

Erschwerend kommt hinzu, dass die Umschichtungen keine zusätzlichen Kosten verursachen dürfen. Denn eine weitere Kostenerhöhung könnte das Fass endgültig zum Überlaufen bringen. Das gilt vor allem für die EU, die als Gastgeber 45 Prozent der Kosten für ITER zu tragen hat und momentan immer noch damit beschäftigt ist, die letzte Kostenerhöhung von 2,7 auf 7,2 Milliarden Euro zu verdauen.[10] Deutschland ist mit 20 Prozent daran beteiligt, wie bei allen Zahlungen zu EURATOM. Die Kosten des ITER-Projekts werden aber wohl noch weiter steigen.

Besonders kritisch sind die Jahre 2012 und 2013, für die 1,3 Milliarden Euro fehlen. Im April 2011 unterbreitete die Europäische Kommission einen Vorschlag, wie diese Finanzierungslücke überbrückt werden könnte. Er sieht vor, Reserven in Höhe von 840 Millionen Euro aus dem Agrar- und dem Verwaltungshaushalt umzuwidmen. Die restlichen 460 Millionen Euro sollen zusätzlich vom 7. Forschungsrahmenprogramm abgezweigt werden. Die dann vermutlich dem nicht nuklearen Forschungsbereich fehlen werden.

Der EU-Ministerrat verweigerte im Juni 2011 diesem Vorschlag jedoch ebenso die Zustimmung wie einem alternativen Vorschlag der ungarischen Ratspräsidentschaft. Damit schwanden die Hoffnungen, dass sich Rat und Europaparlament noch vor der Sommerpause auf einen Kompromiss einigen. Der CDU-Abgeordnete Reimer Böge, ständiger Berichterstatter zum mehrjährigen Finanzrahmen, sieht die Gefahr, dass die ungelöste ITER-Finanzierung mit den Verhandlungen zum EU-Jahreshaushalt 2012 vermischt wird. Böge warnt vor einem Hauen und Stechen, das die ITER-Finanzierung gefährden könnte.[11]

Opposition ist vor allem von den Grünen im Europaparlament zu erwarten. Ihre Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms forderte am 24.6.2011 ein Moratorium für ITER, weil trotz dramatisch gestiegener Kosten kein Erfolg in Sicht sei. Tatsächlich gehen auch Optimisten heute nicht mehr davon aus, dass die Kernfusion vor 2060 einen Beitrag zur Energieversorgung leisten kann.

Für den Energieexperten Werner Zittel (Ludwig-Bölkow-Systemtechnik) kommt sie damit zu spät.[12] Denn bis 2050 werde die Umstellung des Energiesystems auf regenerative Energien bereits so weit fortgeschritten sein, dass die Fusionsenergie nicht den dann notwendigen Nachhaltigkeitskriterien gerecht werde. Zudem passe die Fusionsenergie nicht zu den fluktuierenden erneuerbaren Energien. Denn ein Fusionskraftwerk rechne sich – falls überhaupt – nur, wenn es kontinuierlich Strom produziert. Man könne es nicht nach Bedarf hoch- und runterfahren, um Schwankungen auszugleichen.

Die Sicherheitsforschung in der EU nach Fukushima

Das Sicherheitsforschungsprogramm im nicht-nuklearen Forschungsprogramm der EU gegen Terrorismus und Naturkatastrophen ist eine Querschnittsaktivität im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm. Insgesamt sollen in der laufenden Dekade bis 2013 für den Bereich Sicherheitsforschung 1,3 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt werden.

Zur Erinnerung: Kein einziges der zurzeit weltweit laufenden 437 Atomkraftwerke ist gegen Kriegseinwirkungen, Flugzeugabstürze und Terroranschläge abgesichert.

Österreich blockierte nach Fukushima die EURATOM-Forschung für die Jahre 2012 bis 2013, ist aber dann doch wieder umgekippt. Es geht um 118 Millionen Euro. Eine endgültige Entscheidung wird für den Herbst 2011 erwartet. Österreich wird von Luxemburg unterstützt. Beide Länder wollen, dass der massive Ausbau der Forschung zur Erhöhung der Sicherheit mit verpflichtendem Umsetzungsbericht bis Anfang 2013 und die höhere budgetäre Gewichtung für die nicht-nukleare Energieforschung ab dem Jahr 2014 erfolgen.

EURATOM-Versorgungsagentur

Die der Generaldirektion Energie unterstellte Europäische Versorgungsagentur (ESA) mit einem Jahresbudget von 200.000 Euro wurde 1960 in Brüssel gegründet. Sie verfügt über ein Bezugsrecht für Uranerze und besondere spaltbare Stoffe (Plutonium), die im Gebiet der Mitgliedstaaten erzeugt werden, sowie über das ausschließliche Recht, Verträge über die Lieferung dieser Stoffe aus Ländern innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft abzuschließen. Der Hauptzweck für die Gründung der ESA war es, alle relevanten Materialien per Bezugsrecht in das Eigentum der Europäischen Gemeinschaft übergehen zu lassen; und umgekehrt, allen Mitgliedstaaten den Zugang zum Rohstoff Uran zu ermöglichen. Dieser Regelung zur Versorgungssicherheit schien angesichts der in den fünfziger und sechziger Jahren befürchteten Verknappung von Natururan größte Wichtigkeit zuzukommen. Ein weiteres Motiv bei der Gründung der ESA war es, durch die gemeinsame Kontrolle über die spaltbaren Stoffe die drohende, von Franz-Josef Strauß erwogene atomare Bewaffnung der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern.

Strahlenschutz

Die Abteilung „Atomenergie“, früher unter der Generaldirektion Umwelt, heute unter der Generaldirektion Energie angesiedelt, erarbeitet unter anderem EU-Richtlinien zu den Bereichen Atommüll, nukleare Rückstellungen und Transporte sowie das nach 1966, 1984, 1990 und 1997 fünfte „Hinweisende Nuklearprogramm“ (PINC) zur Definition der aktuellen Herausforderungen für die Atomkraftnutzung in Europa. Die Abteilung „Strahlenschutz“ der Generaldirektion Umwelt definiert und überwacht Strahlenschutzstandards für die Arbeiter in Nuklearanlagen sowie für die Bevölkerung. Diese wichtige Abteilung ist nicht nur mit einem Jahresbudget von unter 1 Mio. Euro chronisch unterfinanziert, sondern wird vermutlich an die Generaldirektion Energie abgegeben werden, was ihre Unabhängigkeit ernsthaft bedrohen dürfte.

Atommüll und Euratom

In der EU gibt es künftig verbindliche Vorgaben für die Entsorgung radioaktiver Abfälle und insbesondere den Bau von Endlagern für die abgebrannten Brennelemente. Die EU schreibt den 14 Mitgliedsstaaten, die AKW betreiben, vor, bis 2015 ein Atommüllendlagerkonzept vorzulegen. Der EU-Ministerrat beschloss am 19. 7. 2011 in Brüssel eine entsprechende Richtlinie. In der Endlagerfrage für Atommüll erhöht die EU damit das Tempo. Die Bundesregierung kündigte kurz nach dem Ministerratsbeschluss an, bis zum Jahresende 2011 ein Atommüllgesetz mit den EU-Vorgaben vorzulegen.[13] Unbedingt zu kritisieren ist, dass auch Atommüllexporte in Nicht-EU-Länder möglich sind. Die Finanzierung der Endlagerkosten für Atommüll dürfte auch über EURATOM erfolgen. Die Kosten für die Steuerzahler sind noch unbekannt.

Atomenergie in der EU nach Fukushima: ein Auslaufmodell

Von den 27 EU-Staaten haben zehn nie die Atomenergie genutzt. Österreich (1979) und Italien (1987) sind durch Volksentscheide ausgestiegen. Der Atomausstieg in Italien wurde im Juni 2011 mit rund 95 Prozent noch einmal bestätigt. Damit sind Atompläne in Italien Makulatur geworden. In Irland, Portugal, Griechenland, Luxemburg und Dänemark wurde das geplante Atomprogramm durch die internationale Anti-AKW-Bewegung gestoppt. Auch in Norwegen, das zum Europäischen Wirtschaftsraum gehört, konnte das Atomprogramm verhindert werden.

Die Niederlande haben alle Erneuerbare Energieprogramme gestrichen und setzen jetzt vollständig auf Atomenergie. Sie wollen zwei neue Atomkraftwerke direkt an der deutschen Grenze bauen. Schweden hält auch nach Fukushima an der Atomenergie fest. Spanien setzt den Atomausstieg aus. Neue AKW werden in Spanien aber nicht gebaut werden können, da auch Spanien von der Wirtschafts- und Finanzkrise stark betroffen ist. Als weitere Atomenergie nutzende Staaten verbleiben Finnland, Frankreich, Großbritannien, Litauen, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Polen hat angekündigt sechs Atomanlagen bauen zu wollen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Ankündigungen auch durchgeführt werden, ist allerdings zu hinterfragen. Rund ein Drittel der derzeit in der Europäischen Union in Betrieb befindlichen 143 Atomkraftwerke müssten bis 2025 stillgelegt werden.

Ein Großteil der Europäischen Bürger ist gegen die Atomenergie.

Die vom Eurobarometer im Jahr 2002 durchgeführte Untersuchung der Meinungen zur Umwelt zeigte, dass Atomenergie und Atommüll als größte Umweltsorge ermittelt wurden – weit vor der Klimaerwärmung. Nukleare Risiken bezeichneten damals die Hälfte der Befragten als eine ernste Sorge.[14]

Rund 90 Prozent der Befragten wollen den neusten Studien zufolge einen konsequenten Umstieg auf Erneuerbare Energien, zwei Drittel wollten am 2001 beschlossenen Atomausstieg festhalten oder ihn sogar beschleunigen.

Im Juni 2011 wurde eine weltweite Umfrage in 24 Länder der Erde über Einstellungen zur Nutzung der Atomenergie veröffentlicht (Ipsos-Studie für die Agentur Reuters).[15] Die meisten Atomkraftgegner gibt es demnach in Deutschland, Italien und Mexiko. Die Studie belegt: Fukushima hat in vielen Ländern zum Umdenken geführt. Der Bau neuer Atomkraftwerke wurde mehrheitlich abgelehnt. 70 Prozent der Befragten weltweit wollen keinen Bau von neuen Atomkraftwerken. Nur in Polen würde mehr als die Hälfte der Befragten den Neubau von AKW unterstützen. Auch in Indien (49%), den USA (44%), in Großbritannien (43%) und Schweden (43%) würde der Neubau von AKW beachtliche Unterstützung finden. In Brasilien (89%), Mexiko (87%), Deutschland (85%) und Italien (83%) sprachen sich die Befragten dagegen mit großer Mehrheit für einen Baustopp aus.

Keine Sonderstellung für die Atomenergie in der EU

Natürlich ist der EURATOM-Vertrag, ein Gründungsvertrag der EU, auch kündbar. So hat die Fraktion der Partei Die Linke im Bundestag in einem Antrag die Auflösung des EURATOM-Vertrages gefordert. Umso wichtiger wäre es, unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Fukushima den EURATOM-Vertrag von seiner gegenwärtigen Ausrichtung als Instrument für eine Ausweitung der Atomkraft-Nutzung in Europa zu einem Instrument für atomare Sicherheit und den Rückbau der atomaren Altlasten weiterzuentwickeln und ein Enddatum für den EURATOM-Vertrag zu setzen.[16] Dazu lässt die deutsche Bundesregierung bislang aber jede Initiative vermissen. Es wäre schon viel erreicht, wenn die Bundesregierung sich in den laufenden EU Ratsverhandlungen über das EURATOM-Forschungsrahmenprogramm ebenso stark für die Energiewende engagieren würde wie sie es in Deutschland tut. Stattdessen setzt sie allein auf die Ziele der Klimaverträglichkeit, der Versorgungssicherheit und der Wettbewerbsfähigkeit. Als hätte es Fukushima nie gegeben.

Die Bundesregierung sollte in ihren Forderungen auf europäischer Ebene aber noch weiter gehen und sich mit aller Kraft für die Gründung einer europäischen Gemeinschaft für die Förderung von erneuerbarer Energien und Energieeinsparung einsetzen. Dies kann die Basis für ein sozialökologisches Energiesystem sein. Dabei müssen die Gelder, die für Euratom vorgesehen sind, in die sinnvolle Erforschung und den Ausbau von erneuerbaren Energien und ihren Infrastrukturen gesteckt werden. Diese Gemeinschaft muss Anreize für den europaweiten Aufbau von erneuerbaren Kombikraftwerken geben, in denen das Zusammenschalten verschiedener erneuerbarer Erzeugungsanlagen mit Stromspeichern möglich ist, sowie die Etablierung effizienter Speichertechnologien fördern. Sie muss auf demokratischem Wege eine dezentrale Energieerzeugung voranbringen, die stärker auf regionale Möglichkeiten und Interessen abgestimmt werden kann. Einschlägige Studien zeigen, dass der Ausbau von erneuerbaren Energien deutlich positive Auswirkungen auf die Beschäftigungsbilanz haben wird. Stadtwerke, neue Stromanbieter und die Bürger werden zu den neuen Akteuren der Energiewende. Energie darf nicht zu einem Luxusgut werden, das für einkommensschwache Haushalte kaum noch bezahlbar ist. Aus diesem Grund muss EURATOM einer europäischen Gemeinschaft weichen, die ein sozialökologisches Energiesystem in Europa fördert.

[1] Mit dem im Dezember 2007 unterzeichneten (Lissabonner) Vertrag zur Änderung des EU-Vertrags und des EG-Vertrags werden einige Bestimmungen des Euratom-Vertrags durch das „Protokoll Nr. 2 zur Änderung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft“ geändert. Die Änderungen beschränken sich auf Anpassungen an die neuen Vorschriften, die der Änderungsvertrag insbesondere in den Bereichen Institutionen und Finanzen vorsieht. Aus: http://europa.eu/legislation_summaries/institutional_affairs/treaties/treaties_euratom_de.htm)

[2] Vgl. EU Info Deutschland, Euratom; http://www.eu-info.de/europa/eu-eg-ewg/EURATOM/

[3] Solarzeitalter (Eurosolar) 2007, S. 32.

[4] Ebd.

[5] Ebd.

[6] Süddeutsche Zeitung, 22.06.2011

[7] Ebd.

[8] Neue Zürcher Zeitung, 29.06.2011.

[9] Ebd.

[10] Ebd.; Wissenschaftlicher Dienst, Deutscher Bundestag, Nr.70/2010, 19.10.2010.

[11] Ebd.

[12] Neue Zürcher Zeitung, 29.06.2011.

[13] BMU, Pressemitteilung v.19.07.2011.

[14] EU-Statistikamt, Luxemburg, Umfrage, 2002.

[15] IPSOS GmbH, Hamburg, 20.06.2011.

[16] In einem Bundesratsantrag des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. 5. 2011 („Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Euratom-Vertrages – europaweiten Atomausstieg voranbringen“) heißt es zusammen gefasst: Wir setzen uns dafür ein, „dass die durch den Euratom-Vertrag festgeschriebene Sonderstellung der Kernenergie abgeschafft wird. Insbesondere sollen alle Passagen des Euratom-Vertrages gestrichen werden, die Investitionen in die Atomkraft begünstigen. Stattdessen sollen Forschung und Entwicklung von erneuerbaren Energien gefördert werden. Eine entsprechende Neuausrichtung der EU-Forschungsprogramme muss geprüft werden. Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Kernspaltung muss dann auf Sicherheits- und Gesundheitsfragen beschränkt sein. Unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass die Atomenergie noch einige Zeit Teil des Energiemixes vieler Mitgliedstaaten bleiben wird, ist uns wichtig, dass höchstmögliche verbindliche Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke festgesetzt werden. Dabei soll der Austausch mit den Nachbarländern der EU gefördert werden, um auch diese an der Verbesserung der Sicherheit von Atomkraftanlagen teilhaben zu lassen. Mit Blick auf die Lagerung atomaren Abfalls müssen die Sicherheitsstandards für Zwischen- und Endlager europaweit einheitlich hoch sein. Die bestehenden Einrichtungen der Europäischen Atomenergiebehörde sollen verstärkt dazu genutzt werden, um höchste einheitliche Sicherheitsstandards in der EU zu garantieren und die Forschung und Entwicklung von Sicherheits- und Endlagerkonzepten voranzutreiben. Der politische Prozess muss letztlich dazu führen, dass der europaweite Ausstieg aus der Atomkraft möglich wird. Aus unserer Sicht erforderlich ist dazu, dass der Euratom-Vertrag mit einem Enddatum versehen wird. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen die Mitgliedstaaten in der Lage sein, ihren Energiebedarf ohne Atomkraft zu decken. Leider ist zu befürchten, dass die Bundesregierung mit einer Initiative zur Revision des Euratom-Vertrages gegenwärtig noch wenig Aussichten auf Erfolg hätte – zu schlecht ist ihr europapolitischer Ruf inzwischen, zu gering ihr Einfluss nach zahlreichen Blockaden und Widersprüchen. Es bleibt zu hoffen, dass Österreich oder einer der anderen atomfreien Staaten dieses Anliegen mit Engagement unterstützt.“