Buchbesprechungen

Die USA als Weltimperium - Bush und Obama

von Jörg Goldberg zu Rainer Rilling
März 2010

Rainer Rilling, Risse im Empire, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Texte Bd. 50, Karl Dietz Verlag, Berlin 2008, 180 S., 14,90 Euro.

Rainer Rillings Buch ist – obwohl schon 2008 erschienen – von höchster Aktualität. Denn auch nach mehr als einem Jahr ist nicht klar, ob mit der Präsidentschaft Obamas, mit der liberale Linke in den USA und teilweise auch in der Welt so große Hoffnungen verbinden, die republikanische Ära definitiv vorbei ist, welche die US-Politik national und international fast vier Jahrzehnte lang bestimmt hatte. Rilling stellt diese Frage zwar auch, er entwickelt aber vor allem einen konzeptionellen Rahmen, der die Diskussion dieser Frage auf eine solide Basis stellen könnte.

Sein Buch besteht wesentlich aus zwei großen Teilen: In den Kapiteln 1 bis 5 diskutiert er die Frage, welchen Charakter die gegenwärtige Stellung der USA in der Welt hat. Dabei gibt er zunächst einen kurzgefassten, kenntnisreichen Überblick über die Begriffe Imperium, Imperialität, Hegemonialität und Imperialismus, dem zu folgen allerdings nicht ganz einfach ist. Wer sich dafür näher interessiert dem seien die umfangreichen Literaturhinweise am Ende des Buches empfohlen. Im Kern geht es Rilling um Belege für die These, dass es sich bei den USA um ein imperiales Projekt handelt, d.h. um ein „informal american empire“ (67), welches im Kern in dem (militärisch abgesicherten) weltweiten Export von Regeln und Standards für Politik und Ökonomie besteht. Dies ist Rilling zufolge weitgehend gelungen: „Anfang des neuen Jahrhunderts operierten die USA bereits weitgehend in einem Universum der Regeln und Standards, das sie mit definiert hatten und das die Entwicklungsoptionen des globalen Kapitalismus beschränkte.“ (71) Es ist klar, dass die Durchsetzung der neoliberalen Variante des Kapitalismus als herrschendem Kapitalismustyp den Export des ‚american way of capitalism’ erleichterte, da dieser mit der Beschränkung der nationalen Souveränität über die internationalen Waren-, Geld- und Informationsströme verbunden ist. Es geht also – nach Ansicht von Rilling – nicht um eine mehr oder weniger starke Hegemonieposition der USA in der Welt (dies würde immer noch die Konkurrenz zwischen mehreren Mächten implizieren), sondern um die Errichtung eines Weltimperiums: „Gegenwärtig sind die USA der einzige Nationalstaat, der in diesem Sinne ein imperiales, also auf Weltordnung nach ihrem Maß zielendes Projekt verfolgt.“ (43)

Dies wird in den beiden folgenden Abschnitten 6 und 7 belegt und auf seine Konsequenzen hin abgeklopft. Dem Autor zufolge geht es darum, die Dominanz der USA „auf Dauer zu stellen“ (83), d.h. „durch den Aufbau von interventionsfähigen geopolitischen Konstellationen und militärischen Ressourcen […] eine mögliche Entstehung […] mit den USA konkurrierender Hegemonen zu verhindern.“ (81) In den USA herrsche bei allen maßgeblichen politischen und ökonomischen Kräften ein Konsens darüber, dass die Sicherheit des Landes nur in einer von den USA bestimmten und kontrollierten Weltordnung zu finden sei. Trotzdem sieht Rilling Unterschiede zwischen einer rechts- und einer liberalimperialen Strömung, als „zwei Varianten des American Way of Globalism“. Diese beiden Varianten unterschieden sich in „einem unterschiedlichen Mischungsverhältnis von Markets und Missiles“ (87), das allerdings nirgends genau beschrieben wird. Der Unterschied zwischen den beiden Varianten, insbesondere die Spezifik der „liberalimperialen“ Version, bleiben leider undeutlich. Missiles, also militärische Macht, sind jedenfalls in allen Varianten „Grundlage für die Rede vom Empire“ (96). Dies und die Entwicklung der entsprechenden Militärdoktrin schildert der Verfasser relativ ausführlich: Im Mittelpunkt stehe die Fähigkeit zur präventiven Aggression, d.h. jede mögliche Bedrohung wird schon dann bekämpft, bevor sie sich überhaupt formiert hat, im Sinne eines „Angriffs auf Verdacht“ (110). Dies beinhaltet, dass letztlich nur die USA eine souveräne Macht sind, d.h. „die Norm der formalen souveränen Gleichheit von Staaten [wird] zurückgewiesen, auf welcher das internationale Recht beruht“ (113). Dies alles wird eindringlich und gut belegt geschildert, einschließlich des „Bruchs“, der mit dem Wegfall der Sowjetunion als konkurrierender Großmacht verbunden war.

Gegen Ende des Buches macht Rilling aber deutlich, dass der amerikanische Weltordnungsanspruch im Sinne der Ausschaltung jeder Konkurrenz zunehmend unrealistisch wird. Denn „die USA haben ein rasch wachsendes Macht-, Ressourcen- und Legitimitätsproblem. Sie sind zudem mit anderen Mächten konfrontiert, die entweder eigene Regeln aufbauen (Europa) oder dieselben Regeln besser spielen (China).“ (160) Die „internationale Konkurrenz zwischen Großmächten ist zurückgekehrt […] ideologisch haben wir es mit einer Zeit der Divergenz und nicht der Konvergenz zu tun.“ (161/2)

Dieser Machtverlust war schon vor der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise sichtbar, wurde aber in dieser und durch diese nochmals akzentuiert. Das Buch konnte die entsprechenden jüngsten Ereignisse nicht mehr berücksichtigen. Sollten die herrschenden Kräfte in den USA wirklich so blind sein, dies nicht zu erkennen? Drücken die von Rilling reichlich zitierten markigen Sprüche mehr oder weniger konservativer Politiker und Politikwissenschaftler wirklich reale politische Orientierungen der USA aus oder sind es Versuche zur ideologischen Vergewisserung der Wähler? Wie genau sieht der andere Mix von „markets und missiles“ aus, der von der liberalimperialen Variante des imperialen Projekts verfolgt wird? Hier wird das Buch ziemlich ungenau. Wenn Rilling schreibt: „Mit dem Zurückdrängen führender Neokonservativer ist der Boden für einen neuen Konsens bereitet. Ihre [? J.G.] pragmatische Grundlage ist der richtungsübergreifende Konsens [Konsens als Grundlage von Konsens? J.G.] zum neoliberalen marktpolitischen Grundansatz und zur Ressourcensicherungspolitik sowie zur Verhinderung einer neuen Hegemonialkonkurrenz mit Russland, China oder sogar Europa. Ein neoliberaler New Deal deutet sich an, der im Einklang mit vergleichbaren Korrekturen in Europa sich zu einer neuen dominanten Figur des Neoliberalismus entwickeln könnte.“ (145/6) Dadurch wird nichts klarer. Leider wird nur angedeutet, dass dieser „New Deal“ mit einer „Machtteilung zwischen politischen Strömungen“ (146) verbunden sei, über deren Inhalt und Grundlage sich der Autor aber ausschweigt.

Wie die US-Reaktionen auf die sich abzeichnende Rückkehr der Hegemonialkonkurrenz (und damit doch auf das Scheitern des imperialen Projekts) aussehen könnten wird auf den letzten Seiten des Buches nur sehr vage beschrieben, was sicherlich auch mit der Offenheit der aktuellen Situation zusammenhängt. Ein Optimist ist der Autor jedenfalls nicht, wenn er zutreffend formuliert: „Aus der planetenweiten Globalität des Kapitalismus resultiert keineswegs [...] im Selbstlauf der Trend zu einem einheitlich global aufgestellten politischen Subjekt, aus der aktuellen unipolaren Dominanz des imperialen Akteurs USA und seiner weitreichenden Fähigkeit zu unilateraler Politik ergibt sich keineswegs eine stabile und nachhaltige globale politische Konfiguration, wie die Zeit nach 2001 zeigt und aus der schieren Ressourcenkraft Europas oder Chinas entsteht noch lange kein zwingendes hegemoniales Regime. Das bedeutet auch: Chaos ist eine Zukunftsoption, deren Wahrscheinlichkeit ebenso zur Debatte steht.“ (149) Die aktuelle Debatte über die Neuordnung der Finanzmärkte nach der Krise zeigt ebenso wie das Scheitern der Weltklimakonferenz von Kopenhagen, wie wenig die gegenwärtige globale politische Ordnung auf globale Probleme angemessen zu reagieren weiß.

Rainer Rilling hat ein spannendes, nicht immer einfach zu konsumierendes Buch über eine zentrale Frage der Zeit vorgelegt. Ob seine These, der politische Grundkonsens der USA sei nicht der einer Hegemonialmacht, sondern der eines weltimperialen Projekts, letzten Endes tragfähig ist, wird die Zukunft zeigen. Dass die USA aktuell nicht in der Lage sind, eine stabile politische und ökonomische Weltordnung zu gewährleisten, ist ebenso unübersehbar wie ihre alles überragende militärische Kraft. Ob und wie dieses Spannungsverhältnis zwischen relativer ökonomisch-politischer Schwäche einerseits und militärischer Stärke andererseits gelöst wird, dürfte die Kernfrage der Zukunft sein.

Jörg Goldberg