Zur Theoriebildung und Analyse der digitalen Arbeit

Die globale Produktion digitaler Hard- und Software (Teil I)

von Christian Fuchs
September 2015

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Übersicht

Dieser Artikel will sich mit der folgenden Frage befassen: Woher stammen Computer, Laptops und Mobiltelefone und wer produziert sie? Spezifische Fallbeispiele werden dafür untersucht: Der Abbau von Mineralien in afrikanischen Minen unter Arbeitsbedingungen, die die Arbeiter beinahe zu Sklaven degradieren; die Produktionsbedingungen und Industrieverbünde der Informations- und Kommunikationstechnik in China (Foxconn); die Softwareindustrie in Indien; die Arbeit in den Call Centern; die Softwareproduktion im Silicon Valley und abschließend die digitale Arbeit von Nutzern und Prosumenten. Empirische Daten und Studien, die sich mit diesen Themen beschäftigen, werden dazu systematisch analysiert und theoretisch interpretiert. Die theoretischen Analysen basieren auf der marxistischen politischen Ökonomie. Der Begriff „globale Wertschöpfungskette“ wird kritisch betrachtet und zugunsten eines komplexen und multidimensionalen Verständnisses von digitaler Arbeit, anhand der Marx‘schen Analyse, erweitert. Diese Arbeit ist transnational und bezieht zahlreiche Formen von Produktion, Produktionsverhältnissen und Organisationsformen (im Kontext der Produktivkräfte) mit ein. Es existiert eine komplexe globale Arbeitsteilung im Sektor der digitalen Arbeit. Diese verbindet (artikuliert) zahlreiche Arten von Produktivkräften, Ausbeutungsformen,, Produktionsweisen und Variationen innerhalb des vorherrschenden kapitalistischen Produktionssystems.

Marx und Engels und die Produktionsweise

Mein Ansatz steht in der marxistischen Tradition, die die Bedeutung von Klassenwidersprüchen in der Analyse der Globalisierung betont. In diesem Zusammenhang kann das Konzept der Produktionsweise mit dem Konzept der neuen internationalen Arbeitsteilung (NIDL) verbunden werden. Die Idee von den Produktionsverhältnissen legt Wert auf die dialektische Verbindung zwischen den Organisationsformen von Kapital, Arbeit und Technologie (Produktivkräften). (…)

Im Abschnitt „Formen, die der kapitalistischen Produktion vorhergehen“ der Grundrisse (MEW 42: 383-421), aber auch im Abschnitt „Feuerbach: Gegensatz zwischen materialistischer und idealistischer Anschauung“ (MEW 3: 17-77) diskutiert Marx die folgenden Produktionsweisen:

1. Die Stammesgesellschaft fußt auf der patriarchalen Familie

2. Antike Formen gemeinschaftlichen Eigentums in Städten (Rom, Griechenland)

3. Feudale Produktion auf dem Land

4. Kapitalismus

Wie sind Produktionsweisen miteinander verbunden? Auf diese Frage gibt es zwei Antworten: Produktionsweisen sind einerseits historisch miteinander verbunden, da sie einander ablösen. Oder aber in einer historisch-logischen Art und Weise, bei der eine spezifische gesellschaftliche Formation ältere Formationen ablöst, aber deren Produktionsweisen in sich aufnimmt. Banaji argumentiert, dass Stalinismus und Vulgärmarxismus eine Vorstellung von den Produktionsweisen entwickelt haben, die davon ausgeht, dass eine spezifische Produktionsweise auch nur auf einer spezifischen historischen Form von Arbeit und Mehrwertaneignung beruht. Vorhergehende Produktionsweisen sind ausgeklammert, so dass sich hier Geschichte in linearer Form fortbewegt: Sklaverei – Feudalismus – Kapitalismus – Kommunismus. So argumentieren Althusser und Balibar (1970), dass die historische Entwicklung der Gesellschaft nicht auf dialektische Weise vonstatten geht, sondern durch Übergänge von „einer Produktionsweise zu einer anderen“ (Althusser und Balibar 1970: 307). In anderen Worten, eine Produktionsweise folgt der anderen nach. Dieses Verständnis von Geschichte ist der Grund, weshalb E.P. Thompson Althussers’ Ansatz als „theoretischen Stalinismus“ bezeichnet hat (1978: 131). Der stalinistische „metaphysisch-scholastische Formalismus“ (Banaji 2011: 61) findet sich auch in den theoretischen Annahme der liberalen Theorie wieder, die eine historisch-evolutionäre Entwicklung von den Agrargesellschaften über die Industriegesellschaft bis hin zur Informationsgesellschaft sieht und die davon ausgeht, dass jede Stufe die vorangegangene Entwicklungsphase eliminiert (Bell 1974; Toffler 1980). Nach Banaji intensivierte der Kapitalismus feudale oder semifeudale Produktionsverhältnisse. In Teilen Europas und außerhalb hätte sich der Feudalismus nur als „Waren produzierende Unternehmung“ (Banaji 2011:88) entwickelt. Der Kapitalismus in der islamischen Welt entwickelte sich dagegen ohne Sklaverei und Feudalismus (Banaji 2011: 6).

Banaji bietet im Gegensatz zu formalistischen Interpretationen eine komplexere Lesart der Marx’schen Theorie, in der eine Produktionsweise „fähig ist, viel frühere Formen zu subsumieren“ (Banaji 2011: 1). Er merkt weiter an, dass „ähnliche Formen der Nutzung von Arbeit in vielen verschieden Produktionsweisen nachgewiesen werden können“ (Banaji 2011: 6). In anderen Worten, Kapitalismus „funktioniert durch eine Vielzahl von Ausbeutungsformen“ (Banaji 2011: 145) und er ist eine kombinierte Form der Entwicklung, die die „diverse Formen von Ausbeutung und Wegen zur Organisierung der Produktion von Mehrwert“ zusammenführt (Banaji 2011: 359).

Eine Produktionsweise ist eine Einheit von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen (MEW 3: 25). Fußen Produktionsweisen auf Klassen als Basis der Produktionsverhältnisse, so lässt diese spezifische Widersprüche entstehen, die zur Aufhebung einer Produktionsweise und zur Herausbildung einer neuen führen. Die Herausbildung einer neuen Produktionsweise impliziert nicht zwangsläufig die Abschaffung alter Produktionsweisen, sondern hebt sie vielmehr auf. Dies bedeutet, dass Geschichte für Marx ein dialektischer Prozess ist. Dieses Verständnis beruht auf Hegels Definition des Begriffs „Aufhebung“, der drei Bedeutungen hat: Überwindung („negare“), Bewahrung („conservare“) und Emporhebung („elevare“). Wenn die Dominanz einer alten Produktionsweise schwindet, dann verschwindet die alte Weise zu produzieren nicht einfach, sondern kann innerhalb der neuen Produktionsweise in einer spezifischen Form und Beziehung zur neuen Produktionsweise weiterexistieren. So sorgte der Aufstieg des Kapitalismus nicht für ein Ende des Patriarchats. Letzteres existiert in einer Form weiter, die eine spezifische Hauswirtschaft entstehen ließ, welche die Reproduktion der modernen Arbeitskraft ermöglichte. Eine Aufhebung kann kleinere oder größere Auswirkungen haben. Ein Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus benötigt eine grundsätzliche Überwindung des Kapitalismus. Die Frage ist, ob dies sofort möglich ist. Überwindung und Bewahrung können in unterschiedlichem Maße stattfinden. Eine Aufhebung ist auch kein linearer Prozess. Es ist immer möglich, dass Beziehungen, die früheren Organisationsmustern gleichen, geschaffen werden.

Der Kapitalismus agiert auf der Ebene der Produktionsverhältnisse. Hier stehen auf der einen Seite die Kapitalbesitzer und auf der anderen Seite die bezahlten und unbezahlten Arbeiter und die Arbeitslosen. Auf der Ebene der Produktivkräfte hat eine Entwicklung stattgefunden, die zu einer Verschiebung weg von den industriellen Produktivkräften hin zu den Produktivkräften in den Sektoren der Informationsindustrie geführt hat. Die Produktivkräfte der Informationsindustrie überwinden andere Produktivkräfte nicht, sondern heben sie auf (Adorno 1968/1997; Fuchs 2013). Um Produkte der Informationsindustrie entstehen zu lassen, bedarf es einer Menge körperlicher Arbeit. Dies schließt landwirtschaftliche und industrielle Produktion ein. Das Entstehen eines Informationskapitalismus hat die Produktion weder immateriell noch virtuell werden lassen. Der Informationskapitalismus beruht auf physischer Produktion (Huws 1999). Während die Zuschreibung „Kapitalismus“ die Produktionsweise definiert, charakterisieren Begriffe wie „Agrar-“, „Industrie-“ und „Informationsgesellschaft“ die Organisationsform der Produktivkräfte (Adorno 1968/1997; Fuchs 2013).

Meiner Meinung nach ist der marxistische Ansatz der Produktionsweise ein sinnvolleres Konzept, die digitale Arbeit zu analysieren, als jenes der globalen Wertschöpfungskette. Michael Porter (1985) definierte die Wertschöpfungskette als „Ansammlung von Aktivitäten, die entstanden sind, um Produkte zu konzipieren, zu produzieren, zu vermarkten und auszuliefern“ (Porter 1985: 36). Die Bezeichnung „Wertschöpfungskette“ ist zu einer populären Kategorie zur Analyse der Organisation des Kapitals geworden. Dies zeigt sich auch darin, dass am 21. Mai 2013 11.682 Artikel, die in der wissenschaftlichen Datenbank Business Source Premier archiviert waren, diesen Begriff in ihrer Zusammenfassung erwähnen. Diese Kategorie wird auch immer wieder in der Medienökonomik verwendet, um die die traditionellen Massenmedien und die Informations- und Kommunikationstechnologie zu analysieren (siehe Silverstone u.a. 2000: 126-135). Das Problem mit der allgemein üblichen Nutzung des Konzeptes der Wertschöpfungskette besteht darin, dass es sich sehr stark auf die Phasen der Warenproduktion konzentriert und dazu neigt, die Arbeitsbedingungen und Klassenbeziehungen zu vernachlässigen. Interessanterweise haben auch kritische Wissenschaftler auf die Theorie der globalen Wertschöpfungskette zurückgegriffen (zum Beispiel Huws 2008; Huws/Dahlmann 2010).

In den 1980er Jahren haben kritische Wissenschaftler die Idee einer neuen internationalen Arbeitsteilung eingeführt (NIAT): „Reorganisation der transnationalen Produktion unter den Bedingungen der neuen internationalen Arbeitsteilung bedeutet heute in zunehmendem Maße, daß das Überleben eines Unternehmens nur noch mit dem Mittel der Verlagerung der Produktion an neue Standorte, die Standorte billiger und disziplinierter Arbeitskraft, gewährleistet werden kann.“ (Fröbel/Heinrichs/Kreye 1977: 31 f.)

Eine weitere Entwicklung ist, dass die „Warenproduktion immer stärker in Teilfertigung aufgespalten (wird), die weltweit der jeweils günstigsten Kombination von Kapital und Arbeitskraft zugeordnet werden.“ (Fröbel u.a. 1977: 31). In den kritischen Medien- und Kulturwissenschaften haben Wissenschaftler/innen das Konzept der neuen internationalen Arbeitsteilung verwendet, um die internationale Teilung der Kulturarbeit zu verdeutlichen (Miller u.a. 2004). Das NIAT Konzept hat den Vorteil, dass es die Klassenbeziehungen zwischen Kapital und Arbeit in den Vordergrund stellt. Vom Standpunkt der NIAT betrachtet, versucht das Kapital, seine Profite zu erhöhen, indem es die Lohnkosten durch die globale Streuung des Produktionsprozesses zu senken versucht. Dieses Konzept bezieht ebenso die Arbeiterkämpfe gegen die negativen Auswirkungen der kapitalistischen Restrukturierung mit ein.

Marx und Engels (MEW 3, Die deutsche Ideologie) betrachteten die Teilung der Arbeit nicht als getrenntes holistisches Konzept, sondern als Teil der Produktionsweise. Sie betonten insbesondere die Trennung zwischen Mann und Frau im Haushalt, zwischen Staatsbürgern und Sklaven, Stadt und Land, Wirtschaftszweigen, Arbeit in der Industrie und im Handel, geistiger und körperlicher Arbeit und zwischen dem Zentrum und den Kolonien als Quelle von Rohstoffen. Die neue internationale Arbeitsteilung organisiert die Arbeitsprozesse so, dass spezifische Einzelteile der Gesamtware an spezifischen Orten in der globalen Ökonomie produziert werden können. Diese Einzelteile werden zusammengesetzt, um aus ihnen ein einheitliches Ganzes herstellen zu können, das als Ware verkauft wird. Das NIAT Konzept betont die sozialen Beziehungen zwischen den verschiedenen Formen von Arbeit, die in diesem Produktionsprozess auf globaler Ebene benötigt werden.

Die folgenden Abschnitte[2] werden zahlreiche Formen von Ausbeutung im Rahmen der globalen Produktion von digitalen Medien analysieren. Diese Formen der Ausbeutung werden auf der globalen Ebene in Beziehung gesetzt zu den Produktionsweisen und der Organisation der Produktivkräfte.

Versklavte Bergarbeiter/innen und die NIAT

Afrikanische Länder (Demokratische Republik Kongo [DRK], Äthiopien, Mosambik, Ruanda, Südafrika, Sambia und Zimbabwe) gehören zu den größten Produzenten jener Metalle, die für die Herstellung von Waren der Kommunikations- und Informationsindustrie benötigt werden. Dennoch tauchen sie als bedeutende Importnationen auf (Pöyhönen/Simola 2007; Steinweg/de Haan 2007; United States Geological Survey 2012). Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Herstellung und Vernutzung von Gütern der Informations- und Kommunikationsindustrie auf einer Teilung der Arbeit beruht, welche Afrika zu einer wichtigen und relativ billigen Quelle von Naturressourcen macht (billig wegen des besonders hohen Ausbeutungsgrades der Arbeitskräfte). Diese Ressourcen werden in nicht-afrikanischen Ländern, besonders China, weiterverarbeitet. Im Rahmen der neuen internationalen Arbeitsteilung (NIAT) ist Afrika eine besonders intensiv ausgebeutete Wirtschaftskolonie. Dieser Kolonialstatus ist auf die Ausbeutung und Versklavung von afrikanischen Arbeitern zurückzuführen. Marx hat argumentiert, dass Kolonien eine Form ursprünglicher Akkumulation sind (MEW 23: 779). Die gegenwärtige Existenz von Kolonien zeigt, dass die ursprüngliche Akkumulation ein andauernder Prozess ist, den der Kapitalismus nutzt, um Ressourcen und Arbeit zu erlangen, damit die Investitionskosten minimiert und die Ausbeutung intensiviert werden kann. Die Metalle, die für die Produkte der Informations- und Kommunikationsindustrie benötigt werden, werden hauptsächlich in Afrika und China abgebaut, während ihre Verhüttung, Veredelung und Anreicherung in der Regel in asiatischen Ländern wie Thailand, Malaysia, China und Indonesien stattfindet. Fabriken aus diesen Ländern versorgen gewöhnlich den Markt für Elektrogeräte. (Pöyhönen/Simola 2007: 37).

Im Jahr 2011 stammten ungefähr 53 Prozent des weltweit produzierten Kobalts, 2,3 Prozent des Zinns und 10 Prozent des Tantals aus der DRK (Eichstaedt 2011: 140; United States Geological Survey 2012). Die Nachfrage der westlichen Konzerne nach billigen Metallen ist eine bedeutende Triebkraft von Gewalt, Sklaverei und Ausbeutung im Osten der DRK. Die DRK wurde seit den 1990er Jahren von Kriegen heimgesucht, die vielen Menschen das Leben gekostet haben. Die Armut und die Gewalt, die das Land erfahren hat, zwang die Menschen alles zu tun, was nötig schien, um zu überleben. Dies schaffte die Grundlagen für die Existenz moderner Formen von Sklaverei. In der DRK fördert der für die Informations- und Kommunikationsindustrie relevante Bergbausektor Zinn- und Coltanerze (welches durch Verfeinerung in das Metall Tantal umgewandelt wird), sowie Wolfram und Gold (Pöyhönen 2010 u.a.). Diese Metalle dienen als Rohstoffe für die Produktion von Mobiltelefonen, Laptops, Glühbirnen und Fahrzeugen (Leslie u.a. 2011). Zahlreiche Minen in der DRK werden entweder von bewaffneten Gruppen, die der Regierung nahe stehen (etwa der Forces Armées de la République Démocratique du Congo [FARDC]) oder Rebellenarmeen kontrolliert.

Für den „Free the Slaves-Report (2011)“ wurde eine empirische Studie erstellt. Bei der Befragung von Arbeitern aus den Minen in Bisie, Omate, Walikale und der Masisi kamen insgesamt 742 Interviews zustande. Die Studie fand heraus, dass Sklaverei in der Bergbauindustrie weit verbreitet ist. Dies schließt die Förderung genauso ein wie die Sortierung, den Transport und den Verkauf.. Dies betrifft auch Beschäftigungsverhältnisse, die Dienstleistungen für die Bergarbeiter anbieten, etwa Hausangestellte, Angestellte von Bars und Kneipen und Sexarbeiterinnen. Vierzig Prozent der Antwortenden kamen aus der Bisie-Mine (Leslie u.a. 2011), wo 80 Prozent des Zinnerzes gefördert werden (Eichstaedt 2011: 121). Sie waren Arbeitsbedingungen ausgesetzt, die für Sklaven üblich sind. Dieser Umstand zeigt, dass die Produktivkräfte des Informationskapitalismus, der die digitalen Medien schafft, eng verzahnt sind mit Produktivkräften, die Sklaverei fördern, um Arbeitskosten zu senken und Profite zu maximieren.

Wissenschaftler/innen dokumentierten Zwangsarbeit, bei der die regierungsnahe FARD Dorfbewohner zwang, unbezahlt in der Bisie-Mine zu arbeiten. Wer an Flucht dachte, wurde mit dem Tode bedroht. Es wurde auch ein System mit dem Namen „Salongo“ dokumentiert. Hier hatten alle Bergarbeiter an einem speziellen Tag der Woche für einen Offiziellen der FARD zu arbeiten (Leslie u.a. 2011: 13). Dieses System beschrieb Marx (MEW 43: 169, 184-185, 202-204) als Fronarbeit. Die für den Herrn aufgebrachte Arbeitszeit kann als Mehrarbeit oder notwendige Arbeitszeit zur Reproduktion beschrieben werden. Ein anderes System, das im Osten der DRK zu finden ist, bestand darin, dass die Bergarbeiter den Kontrolleuren und der Regierung eine wöchentlich zu entrichtende Pacht zahlen müssen, um in der jeweiligen Mine arbeiten zu können (Nest 2011: 43). Sie bauen das Zinn ab und müssen Gebühren an ihre bewaffneten Arbeitgeber bezahlen, um ihrer Arbeit nachgehen zu können, allerdings auch um die Mine wieder verlassen zu dürfen (um die abgebauten Metalle verkaufen zu können). Diese Abgaben sind derartig hoch, dass die Arbeiter dieser speziellen Arbeitsbeziehung niemals entkommen können. Kurz gesagt, sie sind gefangen und damit Sklaven (Poulsen/Tornbjerg 2011). In der Bergbauindustrie der DRK existiert somit die antike Form der Sklaverei ebenso wie die feudale Variante, die auf Pacht und Fronarbeit beruht. Im Lohnarbeitsverhältnis ist der Arbeiter doppelt frei, das heißt „frei“, seine Arbeitskraft zu verkaufen, aber auch „frei“ vom Eigentum an Produktionsmitteln und dem Produkt der Arbeit. Er verkauft seine Arbeitskraft als Ware für die gesamte Arbeitswoche. In der antiken Sklavenhaltergesellschaft ist der Sklave unfrei und Eigentum des Sklavenbesitzers für die ganze Arbeitswoche. Im Fronsystem ist der Arbeiter einen Teil der Woche Sklave, während er für den Rest der Woche frei ist für andere Aktivitäten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. In der „Free the Slaves“ Studie zeigte sich, dass eine nicht unerhebliche Anzahl von Befragten von Schuldknechtschaft betroffen waren. Dies ist die Folge eines Kredites, der mit sehr hohen Zinsen verbunden ist. Um diese abzuarbeiten, müssen die Schuldner in der Mine arbeiten. Oft ist dieses System derart hinterhältig ausgeheckt, dass „es unmöglich gemacht wird, die Schulden jemals zurückzuzahlen“ (Leslie u.a. 2011: 14). Aber auch Leibeigenschaft ist anzutreffen. Diese Form von Sklaverei hat zur Folge, dass eine Person unter fadenscheinigen Vorwürfen verhaftet wird und als Strafe Arbeit im Bergwerk leisten muss. 89 Prozent der befragten 31 Kinder lebten und arbeiteten unter Bedingungen, die der Sklaverei gleichkamen. In der DRK können 75 Prozent der Bergarbeiter/innen mit ihrem Lohn elementarste Grundbedürfnisse nicht befriedigen (Pöyhönen/Simola 2007: 29).

Die Tragik der DRK ist, dass sie trotz des Reichtums an Bodenschätzen einen der blutigsten Konflikte des 20. und 21. Jahrhunderts erlebt hat. Dieser Konflikt steht in direkter Verbindung zum Westen und zur westlichen Informations- und Kommunikationsindustrie. Laut Zahlen aus dem Jahr 2011 war die DRK das ärmste Land der Welt samt einem sehr großen Grad an gesellschaftlicher Ungleichheit (Gini-Koeffizient von 44,4 Prozent). Über 59,2 Prozent der Bevölkerung lebten in extremer Armut. Die Lebenserwartung lag bei 45 Jahren (United Nations Development Programme 2011). Krieg und neoimperialistische Ausbeutung von Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen auf Kosten der einheimischen Bevölkerung haben eine paradoxe Situation geschaffen, die typisch ist für den globalen Kapitalismus. Das Land besitzt 45 Prozent der weltweiten Kobaltreserven, 25 Prozent der weltweiten Diamantvorkommen (United States Geological Survey 2012) und Schätzungen zufolge zwischen 7-8 Prozent (Nest 2011: 18-20) und 64 Prozent (Gootnick 2008) der weltweiten Coltan-Reserven. Dennoch ist die DRK eines der ärmsten Länder der Erde.

Foxconn: Endmontage der Informations- und Kommunikationstechnikprodukte in China

Hon Hai Precision (auch bekannt als Foxconn) ist eine taiwanesische Firma, die 2012 in der Rangliste der weltgrößten Firmen den 156. Platz belegte (Forbes 2012). Glaubt man CNN Global (2012) ist Foxconn der fünftgrößte Arbeitgeber der Welt. Im Jahr 2011 hat Foxconn seine chinesische Belegschaft auf eine Million erhöht. Diese umfasst hauptsächlich junge migrantische Arbeiter/innen vom Land (Students & Scholars Against Corporate Misbehaviour [SACOM] 2011a, 2011b). Foxconn montiert iPads, iMacs, iPhones, Kindles und zahlreiche Konsolen (Sony, Nintendo, Microsoft). Die Kunden von Foxconn sind westliche Konzerne, wie Apple, Dell, HP, Motorola, Nokia, Sony und Sony Ericsson (SACOM 2010: 4).

Siebzehn Arbeiter von Foxconn versuchten zwischen Januar und August 2010 Selbstmord zu begehen. Die Organisation „Students and Scholars against Corporate Misbehaviour“ (SACOM 2010) führte eine Studie durch, in deren Rahmen 100 Foxconn Arbeiter in Shenzen und Hangzhou befragt und beobachtet wurden. Im Juni 2010 betrug das Grundgehalt eines Foxconn-Arbeiters 1.200 chinesische Yuan Renminbi (CNY). SACOM rechnete allerdings vor, dass der niedrigste Lohn mindestens 2.293 CNY betragen muss, um in Shenzen überleben zu können. Mit mehr als 420.000 Arbeiter/inne/n ist die Fabrik in Shenzen Foxconns größte Produktionsstätte. Im Jahr 2008 häuften die Foxconn Arbeiter/innen in Guanlan im Durchschnitt 120 Überstunden im Monat an (SACOM 2010: 7). Tian Lu, ein 17-jähriges Mädchen, das einen Selbstmordversuch überlebte, berichtet, dass sie bei Foxconn in Longhua von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends arbeiten musste (Qiu 2010). SACOM dokumentierte häufige Schichtwechsel, regelmäßige Arbeitszeiten von über 10 Stunden am Tag, einen Mangel an Pausen, monotone Arbeit, körperliche Schäden durch Chemikalien wie Benzol und Lötpaste, einen Mangel an Schutzausrüstung, Zwangsarbeit von Berufsschüler/innen als Praktikant/inn/en an den Fließbändern (mit Zustimmung der Schulaufsichtsbehörden) und gefängnisartige Unterkünfte mit 6 bis 22 Arbeiter/inne/n pro Raum (SACOM 2011a: 18). In keinem Schlafraum kennen sich die einquartierten Arbeiter/innen gegenseitig. Gewerkschaften werden von Offiziellen des Unternehmens geleitet, denen die Beschäftigen nicht trauen. 2011 führte SACOM Interviews mit 120 Arbeiter/inne/n in Shenzen, Chengdu und Chongdinq durch, um zu überprüfen, ob sich die Arbeitsbedingungen ein Jahr nach den Selbstmorden bei Foxconn verändert hätten. Die mangelhaften Arbeitsbedingungen, die in der vorangegangenen Studie offen zutage getreten waren, wurden bestätigt. 60 Interviews mit Arbeiter/inne/n aus Zhengzhou im Jahre 2012 brachten ebenfalls wieder ähnliche Ergebnisse (SACOM 2012). SACOM (2010) dokumentierte brutale Managementmethoden inklusive Mangel an Pausen, Ausgehverbot für die Arbeiter/innen und einem Verbot zu sprechen, aber auch Bestrafungen, Schläge und Schikanen durch Sicherheitspersonal. Die „Fair Labor Association“ (2012) führte eine Umfrage mit 35.166 Teilnehmern durch, die Beschäftigte von Foxconn in Chengdu, Guanlan und Longhua waren. Mehr als 64 Prozent der Teilnehmer/innen sagten, dass die Löhne nicht ausreichten, um den Lebensunterhalt zu sichern. Die Arbeiter/innen wurden gefragt, welche drei Dinge sie ändern würden, wenn sie die Möglichkeiten dazu hätten. Die höchste Priorität hatten dabei die Löhne, gefolgt von Prämien und Lohnzuschlägen, Essensqualität und Arbeitszeit. Nur 22,1 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, Gewerkschaftsmitglied zu sein.

Etwas über 72 Prozent der Teilnehmer/innen waren Arbeitsmigranten. Den offiziellen Statistiken zufolge gab es 2011 mehr als 252,78 Millionen Arbeitsmigranten in China, ein Anstieg von 4,4 Prozent gegenüber 2010 (National Bureau of Statistics in China 2012). Armut auf dem Land ist der eigentliche Grund dafür, dass die junge Landbevölkerung in die städtischen Räume migriert (siehe Hong 2011: Kapitel 5; Qui 2009: Kapitel 4 und 6). Was mit den chinesischen Bauern geschieht, ist exakt das, was Marx (MEW 23: Kapitel 24) als den Prozess der ursprüngliche Akkumulation beschrieb. Diese startete in Europa im 15. und 16. Jahrhundert. Nach Marx schaffte die ursprüngliche Akkumulation ein „ungleich größeres Proletariat durch gewaltsame Verjagung der Bauernschaft von dem Grund und Boden (…) und durch Usurpation ihres Gemeindelandes” (MEW 23: 746).

Der SACOM Bericht von 2010 zieht das Fazit: „Um die Produktivität zu maximieren werden Foxconn Arbeiter dazu angehalten, wie Maschinen zu arbeiten.“ (SACOM 2010: 10) Marx beschreibt die Methoden, mit denen die Kapitalisten versuchen den Arbeitstag so zu organisieren, dass maximale Profite erzielt werden können. Der absolute Mehrwert, der für Marx (MEW 23: Dritter Abschnitt, Fünfter Abschnitt) charakteristisch ist für die formelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital, bedeutet, dass die Arbeiter mehr Stunden unbezahlt arbeiten müssen, da der Arbeitstag verlängert wird. Relativer Mehrwert ist charakteristisch für die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital (MEW 23: Vierter Abschnitt, Fünfter Abschnitt). Hier bleibt die Arbeitszeit dieselbe, aber die Arbeit wird immer produktiver und einer Beschleunigung unterzogen, so dass mehr Mehrwert produziert werden kann.

Die analysierten Berichte machen deutlich, dass in den Fabriken von Foxconn Methoden zur Produktion von absolutem Mehrwert zur Steigerung des Profits angewandt werden. Man findet in diesen Fabriken unbezahlte Überstunden, kaum Pausen, bis zu 12 Stunden lange Arbeitstage, Arbeitswochen mit 6 Arbeitstagen ohne zusätzliche freie Tage. Ein bestimmter Lohn wird gezahlt, aber die Managementstrategie besteht darin, die maximal mögliche Menge an Arbeitsstunden aus der Arbeiter/inne/n herauszupressen. Der Bericht zeigt aber auch, dass die absolute Mehrwertproduktion in gewisser Weise, wenn auch zu einem geringeren Grad, kombiniert ist mit relativer Mehrwertproduktion. Das militärische System, mit dem die Arbeiter überwacht werden, nutzt Zwang und Drill. Kontrolle und Strafe zielen darauf, diese zu disziplinieren, damit die Arbeiter/inn/en nicht nur lange Stunden ohne Pause arbeiten, sondern es auch mit hoher Intensität tun. Sie müssen pro Stunde so viel Stück produzieren wie nur möglich. Foxconn ist typisch für die chinesische Informations- und Kommunikationsindustrie in der, wie Yu Hong (2011), argumentiert, die von ausländischen Direktinvestitionen getriebene und nach außen gerichtete Entwicklungsweise dieser Industrie eine neue Arbeiterschicht geschaffen hat. Sie ballt sich an regionalen Orten, setzt sich größtenteils aus Bauern zusammen, ist mittelmäßig ausgebildet, gering bezahlt und illegal beschäftigt. Sie besteht zudem hauptsächlich aus Frauen (Hong 2011: 113). China besitzt die „größte ausgebeutete Arbeiterklasse des globalen Informationszeitalters.“ (Castells, in: Qiu 2009: X).

(Teil II erscheint in Z 104 [Dezember 2015])

Literatur

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United States Geological Survey (2012): Commodity statistics and information. http://minerals.usgs.gov/minerals/pubs/commodity

[1] Übersetzung von: Christian Fuchs, Theorising and analysing digital labour: From global value chains to modes of production, in: The Political Economy of Communication 1 (2) 2013: 3-27. http://www.polecom.org/index.php/polecom/article/view/19. (Redaktionell geringfügig gekürzt. Übersetzung aus dem Englischen: Sebastian Chwala und Alan Ruben van Keeken.)

[2] Diese Abschnitte behandeln: Versklavte Bergarbeiter/innen in Afrika; die Endmontage der IuK-Technikprodukte in China bei Foxconn (Teil I). In Teil II: Arbeit in der indischen Software-Industrie; die Arbeit in Call-Centern; Software-Entwicklung bei Google; Digitale Arbeit und Online-Prosumption.