Buchbesprechungen

Pamphlete wider die patriarchale Zivilisation

von Stefan Schoppengerd zu C. v. Werlhof
Dezember 2010

Claudia von Werlhof, West-End. Das Scheitern der Moderne als „kapitalistisches Patriarchat“ und die Logik der Alternativen, PapyRossa, Köln 2010, 261 S. 17,90 Euro.

Die Autorin der im vorliegenden Band zusammengestellten Aufsätze und Reden gehört neben M. Mies und V. Bennholdt-Thomsen zur Gruppe der so genannten Bielefelderinnen, die sich in den 1980er Jahren um die Begründung einer feministischen Entwicklungssoziologie bemüht haben. Im Anschluss an Wallersteins Weltsystemtheorie und Luxemburgs Theorem einer fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation, empirisch gestützt auf die Untersuchung der Lage von Frauen in der Peripherie, prägten sie u.a. die Begriffe „Frauen als letzte Kolonie“ und „Hausfrauisierung“. Diese Konzepte werden im vorliegenden Band zwar zusammenfassend vorgestellt, anstatt sie allerdings auf ihre Aktualität zu prüfen (z.B.: Wie verhält sich Hausfrauisierung zu Prekarisierung? Lässt sich mit diesem Begriff sinnvolles über die Situation von Arbeiterinnen in Sonderwirtschaftszonen sagen? Was bedeuten neuere Machtverschiebungen im Weltsystem?), beschränkt Werlhof sich darauf, ihre Richtigkeit zu behaupten. Darüber hinaus erhebt sie den Anspruch, ein neues Paradigma kritischer Wissenschaft zu entwickeln, das sie „kritische Patriarchatstheorie“ nennt. Dessen Quintessenz ist: Die Weltgeschichte der letzten 5000-7000 Jahre ist die Geschichte des Patriarchats. Sein Grundprinzip ist die „Schöpfung durch Zerstörung“, seine Triebkraft der männliche Wille, alles Weibliche und Natürliche zu beseitigen. Kapitalismus und Neoliberalismus sind die Fortsetzung dieses Projektes, dessen Wesen aber bereits in den prä-naturwissenschaftlichen Machenschaften der Alchemisten erkennbar ist. Der Ausweg besteht in der Rückbesinnung auf die Prinzipien des Matriarchats, das durch die Patriarchalisierung verdrängt worden ist.

Zur feministischen Grundsatzfrage Gleichheit oder Differenz?, Herstellung der Gleichheit von Männern und Frauen oder Stärkung der gesellschaftlich missachteten Weiblichkeit, könnte Werlhofs Position also klarer nicht sein: Sie ist Differenzfeministin, ihr Interesse gilt der Verteidigung einer auf Gebärfähigkeit gründenden Gegenkultur der Frauen, die die Welt insgesamt gerechter und friedfertiger machen würde. Nun zeigt der Blick in die Geschichte der Frauenbewegung ebenso wie die Betrachtung der feministischen Wissenschaft, dass diese Position nicht als hegemoniale angenommen werden kann. Werlhof verzichtet dennoch auf die argumentative Auseinandersetzung. Weder dem Gleichheitsfeminismus noch dem neueren dekonstruktivistischen Paradigma hat sie wesentlich mehr entgegenzusetzen als blankes Unverständnis. Offenbar hält sie es für evident, dass alle Frauen qua Leiblichkeit das objektive Interesse haben, aus der patriarchalen Zivilisation auszuscheren. Wie es sein kann, dass manche Frauen sich dagegen zur Wehr setzen, allein aufgrund einer potenziellen Mutterschaft ihren Platz in der Gesellschaft zugewiesen zu bekommen, scheint vor allem rätselhaft: „Unter Frauen ... herrscht auch eine große Verwirrung. Denn westliche Frauen haben weitgehend die kapitalistisch-patriarchale Denkweise übernommen, z.B. die Leib- und Naturfeindlichkeit, die programmatisch ist und sich nicht nur im Christentum findet. Viele Frauen wollen inzwischen selbst nicht mehr Schöpferinnen neuen Lebens sein.“ (257f.) Auch mit der in den letzten Jahrzehnten breit diskutierten Frage, ob es theoretisch und politisch vertretbar ist, pauschal von „den Frauen“ zu sprechen, hält sie es ähnlich. Die Kontroverse wird lediglich andeutungsweise erwähnt.

Bezogen auf einen anderen möglichen Diskussionspartner wird die Nicht-Bereitschaft zur Debatte deutlich ausgesprochen: „Wir müssen ... alle Hoffnung fahren lassen, mit der Linken auf dem Weg in die Zukunft noch irgendetwas anfangen zu können. Und daher ersparen wir uns von nun an unsere Versuche, ihr unsere Sicht der Dinge näher zu bringen. Wir wenden uns stattdessen der Alterna-’Tiefe’ zu!“ (85) (Das meint in etwa eine in die Tiefe gehende Alternative, dazu unten mehr) Leider versäumt die Autorin zu erklären, wer hier als „die Linke“ bezeichnet wird. Der Knackpunkt wird aber deutlich: Er liegt in der Haltung zu Entwicklung, Fortschritt und Technik. Werlhof nennt einige Beispiele, bei denen die Vermutung einer unheilvollen Verquickung männlicher Hybris mit Kapitalinteressen nicht abwegig ist. Schlagworte sind „Gen- und Reproduktionstechnologien“. Diese dienen, so Werlhof, der Verwirklichung der misogynen Phantasie einer frauen- und mutterlosen Welt. Darin will sie aber umstandslos das Wesen von Technik insgesamt ausgemacht haben: Fortschritt und Patriarchat sind identisch und alle Maschinen sind von großem Übel. So ist dann auch tatsächlich egal, wer „die Linke“ genau ist, mit der die Autorin nichts zu tun haben will. Es dürften alle dazugehören, in deren Denken sich Spuren der Überlegung finden, dass die Entwicklung der Produktivkräfte auch Möglichkeiten der Befreiung schaffen kann, und dass es daher ratsam ist, sich die Abschaffung von Herrschaft eher als ein Darüber-Hinaus denn als ein Zurück-zu vorzustellen.

Die Alternative zum zerstörerischen Zivilisationsprozess lässt sich so umreißen: Ihre Basis ist die Subsistenz, ihr Überbau eine matriarchale Spiritualität. Auch hier werden kniffligere Fragen nicht gestellt: Gibt es Arbeitsteilung, z.B. zwischen den Geschlechtern? Was kann Subsistenz in einer weitgehend urbanisierten Welt bedeuten? Welche Bewegung soll wie den Prozess der Transformation durchsetzen? Werlhof hat Recht, wenn sie feststellt, dass ihr Rezept, einerseits den bösartigen Zustand der Welt aufzudecken und empört anzuprangern, andererseits ein diffuses „umdenken und umfühlen“ zu empfehlen, Ängste provoziert. Allerdings weniger die unterstellte Angst vor „Identitätsverlust“ (79) als vielmehr die gruselige Vorstellung einer Welt ohne Zentralheizung, Spülmaschinen und gut ausgerüstete Krankenhäuser bei gleichzeitigem Aufleben anti-aufklärerischer Naturreligionen. Vieles in ihrem Buch weist in diese Richtung. Dem Anliegen, die Kritik von Kapitalismus und Patriarchat miteinander zu vermitteln, ist damit kein Gefallen getan.

Stefan Schoppengerd